Die Methode Willy Wonka

Bis zum Jahr 2022 werden mehr als 60 Prozent der Inhaber und Führungskräfte in Deutschland das Lebensalter 60 erreicht haben oder darauf zugehen. Ein flächendeckender Generationswechsel steht bevor – auch in der Finanzdienstleistungsbranche. Doch viele Chefs können einfach nicht loslassen.

Johnny Depp als Willy Wonka in „Charlie und die Schokoladenfabrik“ (2005)

Man kann es natürlich auch so machen wie Willy Wonka. Erst ganz am Ende des Kinderbuchklassikers „Charlie und die Schokoladenfabrik“ von Roald Dahl aus dem Jahr 1964 erfährt der Leser den wahren Grund, weshalb Wonka, Inhaber der „allergrößten und allerberühmtesten Schokoladenfabrik auf der ganzen Welt“, in seinen Schokoladentafeln weltweit fünf goldene Eintrittskarten verteilen ließ. Eigentlich sah alles nur nach einem simplen Gewinnspiel aus, bei dem die Kinder, die diese Eintrittskarten finden, die Fabrik einen Tag lang besuchen und beliebig viel Schokolade mitnehmen dürfen. Doch tatsächlich führt Wonka etwas ganz anderes im Schilde: Die Führung dient dazu, aus fünf Kindern das sympathischste auszuwählen und zum Erben seiner Schokoladenfabrik zu machen. Und weil sich der junge Charlie Bucket als das bescheidenste und sympathischste Kind erweist, ernennt Wonka ihn zum Teilhaber und Nachfolger.

„Ich bin ein alter Mann. Ich bin viel älter, als Sie vermuten. Ich kann die Fabrik nicht immer leiten“, erklärt Wonka, in der jüngsten Verfilmung des Romans aus dem Jahr 2005 dargestellt von Johnny Depp, die Beweggründe für sein Handeln. „Ich habe keine eigenen Kinder und keine Verwandten. Wer soll die Fabrik übernehmen, wenn ich einmal zu alt bin? Irgendjemand muss dafür sorgen, dass die Schokoladenfabrik weiterarbeitet.“ Erwachsene kommen für ihn nicht in Frage: „Ein Erwachsener würde nicht auf mich hören und nichts lernen. Er würde alles nach seinem Kopf machen wollen und sich nicht nach meinen Wünschen richten. Also kann ich als Nachfolger nur ein Kind gebrauchen, ein vernünftiges, verständiges, liebes Kind, dem ich meine kostbaren Geheimnisse anvertrauen kann, so lange ich noch lebe.“

Angst vor dem Machtverlust

Immerhin, könnte man sagen, Willy Wonka hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, wer sein Nachfolger werden soll – seine Begründung zeigt aber auch, wie schwer es ihm fällt, loszulassen. Wonka scheut das Risiko, dass ein Erwachsener sein Unternehmen in eine andere Richtung lenken könnte, als von ihm gewünscht. Stattdessen setzt er darauf, über ein Kind weiterhin großen Einfluss auf die Schokoladenfabrik ausüben zu können – bis zu seinem Lebensende. Damit steht der fiktive Schokoladenfabrikant stellvertretend für viele Unternehmenschefs, auch in der Finanzdienstleistungsbranche. Sie haben Angst vor dem eigenen Machtverlust – doch da in der Realität selten ein Charlie Bucket in der Nähe ist, wenn man ihn braucht, schieben sie den Führungswechsel einfach auf die lange Bank.

„Wer sich eigenständig etwas aufgebaut hat oder ein etabliertes Familienunternehmen in dritter Generation führt, dem fällt es schwer, loszulassen und den Stab weiterzugeben“, bestätigt Dr. Uwe Böning, geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Böning Consult. Zu den Mitarbeitern bestehe häufig ein sehr enges Verhältnis, was den Ausstieg zusätzlich erschwere. Allerdings gebe es auch für den Altinhaber Möglichkeiten, weiterhin Teil „seines“ Unternehmens zu bleiben. Er könne beispielsweise eine neue Rolle innerhalb des Betriebs übernehmen oder seinem Nachfolger als Berater zur Seite stehen, stellt Böning klar. Das klingt allerdings schon wieder verdächtig nach der Willy-Wonka-Methode.

Seite zwei: „Es wird viel Wert verschenkt“

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