„Regionale Unterschiede verschärfen sich“

Cash.: Wie valide ist der vielzitierte Trend ‚zurück in die Stadt’, den Sie ja eher als ‚nicht mehr  raus aus der Stadt’ beschreiben?

Günther: Die Fakten sind eindeutig. Wie auch in den vergangenen 60 Jahren ziehen junge Menschen in die Städte. Das Anstreben immer höherer Qualifikationen verstärkt diese Wanderungsbewegung tendenziell. Da heute aber deutlich mehr dieser jungen Zuzügler dauerhaft in den Städten bleiben, verliert der ländliche Raum. Dieses seit einigen Jahren recht stabile Wanderungsmuster hat sich Ende der 1990er Jahre herausgebildet. Eine Änderung ist nur bei entsprechender Veränderung der Rahmenbedingungen zu erwarten. So wären beispielsweise eine erneute Zuwanderungswelle aus dem Ausland, eine erhebliche Verbilligung individueller Mobilität oder auch eine starke Subventionierung des Wohnens auf dem Lande geeignet, den Fortzug aus den Städten wieder zu erhöhen.

Cash.: Warum sind die Neubauzahlen in der Vergangenheit so stark gesunken?

Günther: Hier kommen verschiedene demografische und ökonomische Faktoren zusammen: auf der demografischen Seite die nur noch geringe Zuwanderung aus Ausland, die eine entsprechend geringere Wohnungsnachfrage nach sich gezogen hat. Weiterhin sind die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre inzwischen weitgehend mit Wohneigentum versorgt, so dass die Nachfrage nach Wohneigentum – überwiegend Einfamilienhäuser, aber auch Eigentumswohnungen – stark rückläufig ist. Verstärkt wurde diese ohnehin ablaufende demografische Entwicklung durch die Abschaffung der Wohneigentumsförderung. Zudem geben gegenwärtig relativ starke, um 1940 geborene, Jahrgänge vermehrt ihr Wohneigentum ab, was zu einer Erhöhung des Bestandsangebotes geführt hat. Im Mietwohnungsbau hat neben der weitgehenden Einstellung des sozialen Wohnungsbaus vor allem die gegenwärtig wenig attraktive lineare Abschreibung von zwei Prozent jährlich bei in vielen Regionen seit Jahren stagnierenden Neubaumieten zu dem starken Rückgang beigetragen. Auch die in der Förderung erkennbare einseitige Bevorzugung der Sanierung gegenüber der Variante Abriss und Neubau dämpft die Neubauaktivitäten.

Cash.: Die Branche beklagt in den prosperierenden Regionen einen Nachfrageüberhang aufgrund der gesunkenen Neubauzahlen – wie groß ist der quantitative Wohnungsbedarf tatsächlich? Welche Leerstandshöhe wäre im Umkehrschluss ‚gesund’?

Günther: Der sich aus einer ‚ungestörten’ Haushaltsentwicklung, einer – wegen der erhöhten Mobilitätsanforderungen an die Erwerbsbevölkerung – leichten Erhöhung des Zweitwohnungsbestandes, einer kontinuierlichen Abnahme der Untermietverhältnisse und einer Fortschreibung der bisher sehr niedrigen Wohnungsabgangsraten errechnende   Neubaubedarf liegt bundesweit bei etwa 200.000 bis 250.000 Wohnungen pro Jahr.  Berücksichtigt man darüber hinaus, dass Teile der Wohnungsbestände technisch und wirtschaftlich nicht sanierungsfähig sind – insbesondere Bestände aus der Wiederaufbauphase, aber auch Wohnungen aus den 1970er Jahren und un- oder nur teilsanierte Altbaubestände – so muss ein zusätzlicher qualitativer Zusatzbedarf in einer Größenordnung von etwa 175.000 Wohnungen festgestellt werden. Insgesamt liegt der jährliche Wohnungsbedarf damit gegenwärtig bei rund 400.000 Wohnungen pro Jahr. Bei der Leerstandsquote, die für einen funktionierenden Wohnungsmarkt erforderlich ist, schwanken die Ansätze in der Regel zwischen einem Prozent und drei Prozent des Wohnungsbestandes. Ein Stichtagsleerstand von zwei Prozent erscheint aus unserer Sicht ausreichend, um eine ausreichende Fluktuationsreserve zu gewährleisten. Dabei bedeutet Wohnungsleerstand nicht unbedingt unvermietet oder ungenutzt. So tritt der Zustand ‚nicht bewohnt’ praktisch bei jedem Mieter- oder Eigentümerwechsel auf, weil Schönheitsreparaturen oder Sanierungen vor dem Neubezug durchgeführt werden. Es handelt sich bei der Mobilitätsreserve somit nicht um dauerhafte Leerstände oder sogar Wohnungsüberhänge, sondern lediglich um die kurzfristigen Leerstände beim Nutzerwechsel beziehungsweise vor dem Erstbezug.

Seite 3: Welchen Einfluss die energetischen Anforderungen haben

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