Ohne EZB ist das ganze Jahr Aschermittwoch!

Die Halver-Kolumne: Seit 11.11.2011 ist es wieder soweit. Es begann die sogenannte fünfte Jahreszeit, der Karneval oder der Fasching. Doch diesmal habe ich den Eindruck, dass nicht wir die Politik, sondern die Politik uns auf die Schippe nimmt.

Robert Halver _ Börse - 204_240Karneval ist die Zeit, wo vor allem die große Politik satirisch und humorvoll betrachtet wird. Aber diese permanente Polit-Comedy ist auch mir als Rheinländer mittlerweile zu viel.

Habemus Papademos

Nehmen wir doch einmal Griechenland. Dort hat man kürzlich ein neues Showformat mit dem schönen Namen „Griechenland sucht den Wunderheiler“ geschaffen. Nach lang andauernden Castings hat man sich für denjenigen entschieden, der sich zum Schluss nicht mehr wehren konnte: Habemus Papademos. Der neue Papa Griechenlands ist zweifelsohne Europa-erprobt, mit vielen (finanz-) politischen Qualitäten ausgestattet, ein Netzwerker, der weltweit alle großen Tiere kennt. Aber von ihm – mit Verlaub, er ist nur eine Zwischenlösung – erwartet man jetzt in einer großen politischen Koalition nichts weniger als das Wunder von Athen, nämlich die Kernsanierung Griechenlands in der Zwangsjacke des Euros. Könnten Sie die 100-Meter-Strecke unter 10 Sekunden laufen, wenn Ihnen Bleisäcke aufgebürdet werden und sich die für Sie verantwortlichen Trainer noch nicht einmal in punkto Trainingsmethoden einigen können?

Blicken wir auf Italien. Das ist die wahre karnevalistische Prunksitzung in der euroländischen Polit-Fastnacht. Oder sollte man es doch eher Stunksitzung nennen? Alle Wege führen zwar nach Rom, aber bislang offensichtlich auch an Lösungen vorbei. Die Finanzmärkte haben sehnsüchtig auf die Zeit des Post-Berlusconismus gewartet, die unter Abwandlung eines Zitats von Cäsar unter dem Motto stand „Ich kam, als ich sah, dass ich siegte“. Aber jetzt scheint er wirklich zurückgetreten zu sein. Anscheinend hat man ihm ein Angebot gemacht, dass er nicht ablehnen konnte. Kommt jetzt also die große politische Trendwende, die stabilitätspolitische Rettung Italiens unter Mario Monti?

Italien der neue Sparweltmeister?

Die neue Regierung wird nach der langen Zeit Berlusconis – seit 1994 war er mit Unterbrechungen der König Italiens – einen Kassensturz machen müssen. Das haben die Griechen nach dem Regierungswechsel auch gemacht. Ist dabei wirklich auszuschließen, dass in 17 Jahren nichts unter den Teppich gekehrt wurde, was dann plötzlich wieder sichtbar wird? Überhaupt wird der nach emotionalem Eindruck im Vergleich mit Silvio vermutlich mit deutlich schlechterer B-Note ausgestattete, neue Ministerpräsident sehr zügig seinen Landsleuten nahe bringen müssen, dass es zukünftig öfter Spaghetti Napoli und Pizza Margherita geben wird. Den Luxus der anderen Köstlichkeiten kann sich Bella Italia nicht mehr leisten. Wie kommt wohl dieser Diätplan auf den Straßen und Plätzen Italiens an, der zudem die Rezession verstärken wird? Wie lange hält das der neue politische Hungerkünstler aus, wenn die Rufe nach der guten alten Zeit von Sternekoch Silvio lauter werden. Der Geist wird zwar schon irgendwie willig sein, aber das Fleisch könnte schwach bleiben.

Leider ist Italien too big to fail. Fast schon wie weiland das Imperium Romanum. Das bekommt zunächst das Nachbarland Frankreich zu spüren, das finanz- und bankwirtschaftlich mit Rom wie Winnetou und Old Shatterhand verbunden ist. Macht also Italien seine dringend erforderlichen Hausaufgaben nicht, wird auch Frankreich Probleme haben, versetzt zu werden. Und anscheinend scheint es ja dem Computer bei der Rating-Agentur Standard & Poor’s in punkto Beurteilung Frankreichs schon im Finger gejuckt zu haben. Zum Schluss bekäme die ganze Euro-Klasse ein mieses Zeugnis. Dann ist definitiv Schluss mit Karneval.

Drucken oder nicht drucken – das ist hier die Frage

Auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand und in der Eurozone in der von Italien. Also Hand aufs Herz: Wer rettet Italien und damit Frankreich und damit die Eurozone, wenn Super-Mario seine Herkulesaufgabe nicht schafft? Dann steht Euroland vor der Frage der Fragen: Opfern wir die Eurozone oder die Unabhängigkeit der EZB, die dann in gigantischem Ausmaß Staatsanleihen aufkaufen müsste? Es dürfte klar sein, auf welche Variante die Wahl fallen würde: Die EZB wird die Strafzettel zahlen, wenn andere bei Rot über die Ampel fahren.

Und überhaupt, wer mag schon gerne Aschermittwoch?

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator und ist durch regelmäßige Medienauftritte bei Fernseh- und Radiostationen, auf Fachveranstaltungen und Anlegermessen sowie durch Fachpublikationen präsent.

Weitere Kolumnen von Robert Halver:

Das alte Europa schlägt zurück!

Über ein unkalkulierbar großes Risiko

Neulich in Amerika

Warum enden Märchen immer mit der Hochzeit?

Wie sage ich es meinen Wählern?

Euro-Krisenpolitik oder das Prinzip des Durchwurstelns

Eine neue Stabilität für die Vermögensanlage

Poker nicht gegen Fed & Co.!

Es war einmal die schöne heile Analystenwelt

Unter Blinden ist der Einäugige König

Mit der Fed ist das ganze Jahr Weihnachten

Stabilitätspakt stand drauf, Transferunion wird drin sein

Das Pippi-Langstrumpf-Prinzip in der Finanz- und Geldpolitik

Die Aktie: Das Ende einer Ära?

Das Ende des klassischen Konjunkturzyklus

Wann wird’s mal wieder richtig stabil?

Blaue Pillen für die Inflation!

Politische Börsen oder denn sie wissen nicht, was sie tun!

Unser täglich Griechenland gib uns heute. Was kommt morgen?

Verunsicherte Anleger: Angst ist ein schlechter Ratgeber!

Sind Substanzaktien die stabileren Staatsanleihen?

Probleme in Griechenland? Es geht um ganz Euroland!

Exit-Strategie oder das Warten auf „Cashing Bull“

Der richtige Umgang mit Blasenproblemen

Staatsverschuldung – Nie war sie so wertvoll wie heute!

Foto: Baader Bank

Weitere Artikel
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments