„Kein Lebensversicherer möchte als erster einen Verlust ausweisen“

Michael Haid, Senior Analyst bei der MainFirst Bank AG, sprach im Cash.-Interview über die Lage der Lebensversicherer im Niedrigzinsumfeld und die besondere Rolle der stillen Reserven.

„Kein Versicherer möchte als erster einen niedrigen Gewinn oder gar einen Verlust ausweisen, da er sofort die Aufmerksamkeit von Kunden, Vermittlern, der Konkurrenz, der Presse und der Aufsicht auf sich ziehen würde.“

Cash.: Eine aktuelle Studie der MainFirst Bank ist zu dem Ergebnis gekommen, dass immer mehr Lebensversicherer in die Verlustzone rutschen werden. Warum ist das so?

Haid: Lebensversicherer in Deutschland gewähren ihren Kunden langfristig Zinsgarantien, die dem Kunden jedes Jahr gutgeschrieben werden müssen. Eine Police, die zum Beispiel in 1995 abgeschlossen wurde und die ihrem Besitzer eine Mindestverzinsung von 4,0 Prozent gewährt, kann unter Umständen 50 Jahre und länger im Bestand eines Lebensversicherers sein.

Im jetzigen Niedrigzinsumfeld, mit Zinsen von deutlich unter einem Prozent bei deutschen zehnjährigen Staatsanleihen, laufen die Lebensversicherer die Gefahr, dass sie ihre Garantien, die im Branchendurchschnitt bei etwa 3,0 Prozent liegen, in Zukunft nicht mehr verdienen können – als Stichwort ist hier das Wiederanlagerisiko zu nennen.

Wie prekär stellt sich die Lage der Branche derzeit dar?

Wir gehen in unserem Modell davon aus, dass vier von zehn Lebensversicherer schon für das Geschäftsjahr 2014 Verluste schreiben. In unserem Modell ist das optimale Verhalten von Lebensversicherern über einen längeren Zeitraum modelliert – das heißt, der Lebensversicherer realisiert zur Finanzierung der Zinszusatzreserve gerade so viele Kapitalgewinne aus der Veräußerung von festverzinslichen Wertpapieren, dass das Kapitalanlageergebnis nicht negativ wird.

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Können Sie dies näher erläutern?

Ironischerweise sind die stillen Reserven aus den festverzinslichen Wertpapieren der Lebensversicherer aufgrund des Niedrigzinsniveaus auf einem Rekordniveau – und es ist zu erwarten, dass die Lebensversicherer diese Reserven nutzen, um hohe Ergebnisse, das heißt Roherträge oder Gewinne, in den Gewinn- und Verlustrechnungen auszuweisen, was natürlich zulasten zukünftiger Ergebnisse geht.

Warum verhalten sich die Gesellschaften so?

Kein Versicherer möchte als erster einen niedrigen Gewinn oder gar einen Verlust ausweisen, da er sofort die Aufmerksamkeit von Kunden, Vermittlern, der Konkurrenz, der Presse und der Aufsicht auf sich ziehen würde. Erste Ergebnisse des Geschäftsjahres 2014 weisen in diese Richtung.

Die hohen stillen Reserven erlauben es den Lebensversicherern, ihre Probleme kurzfristig zu kaschieren. Die Probleme werden in zunehmendem Maße in Zukunft sichtbar werden. Die 16-jährige Übergangsfrist zur Einführung der Solvency II Regeln trägt entsprechend dazu bei, die Probleme in die Zukunft zu verlagern.

Interview: Lorenz Klein

Lesen Sie hier den zweiten Teil des Cash.-Interviews mit Michael Haid, in dem er über mögliche Strategien spricht, die den Lebensversicherern im Niedrigzinsumfeld zur Verfügung stehen.

Foto: MainFirst Bank AG

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