Bewertungsreserven: Arme, reiche Lebensversicherer?

Im kommenden Jahr werden die Weichen in der Assekuranz durch die Reform der Lebensversicherung komplett neu gestellt. Im Zuge der Neuregelung der Bewertungsreserven ist eine Debatte darum entbrannt, wie die tatsächliche finanzielle Lage der Lebensversicherer zu beurteilen ist.

Verfügen die Lebensversicherer über hohe Reserven oder nicht? Daran scheiden sich die Geister.

Was die Politiker mit der deutschen Versicherungswirtschaft und ihren Kunden in diesem Sommer angestellt haben, lässt sich unterschiedlich deuten. So hat die Verabschiedung des Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) ein geteiltes Echo hervorgerufen.

Verbraucherschützer entsetzt

Dies gilt insbesondere für die im LVRG verankerte Neuregelung der Beteiligung der Kunden an den Bewertungsreserven auf festverzinsliche Wertpapiere: Während es die Assekuranz einhellig begrüßte, dass die Besitzer von Lebensversicherungen künftig deutlich weniger Anteile an den stillen Reserven der Versicherer erhalten, zeigten sich die Verbraucherschützer entsetzt.

Der Bund der Versicherten (BdV) schrieb sogar einen Brief an den Bundespräsidenten, verbunden mit der Bitte, das LVRG aufgrund „verfassungsrechtlicher Bedenken“ tunlichst nicht zu unterschreiben.

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Joachim Gauck tat es trotzdem und somit ist das Gesetz am 7. August 2014 in Kraft getreten. Und es ist auch nicht zu erwarten, dass die vom BdV unterstützte Online-Petition „Kunden von Kapitallebensversicherungen müssen weiterhin an stillen Reserven beteiligt werden“ daran etwas ändern könnte.

Die Übergabe des 168-seitenstarke Dokuments an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages im September hatte eher symbolischen Charakter, denn tatsächlich folgten dem Aufruf nur 8.864 Bundesbürger – das entspricht weniger als 0,01 Prozent der mehr als 80 Millionen Menschen, die in Deutschland eine Lebensversicherungspolice in der Schublade liegen haben.

Kritik an Gesetzgebungsverfahren

Sei es drum: BdV-Vorstandssprecher Axel Kleinlein ließ sich die gute Stimmung nicht verhageln: „Es freut mich, dass so viele Menschen diese Möglichkeit der Teilhabe und Mitbestimmung genutzt haben. So ein lebendiges Demokratieverständnis hätte ich mir auch von der Bundesregierung gewünscht.“

Damit spielt Kleinlein auf das hohe Tempo des Gesetzgebungsverfahren an. So wurde den Interessengruppen nur wenige Tage Zeit eingeräumt, um sich zum geplanten Reformwerk zu äußern. Vor allem das Kernstück des LVRG, die Neuregelung der Bewertungsreserven, ist alles andere als trivial.

Sie sieht vor, dass die Versicherer künftig nur noch jene Reserven zur Hälfte an ausscheidende Kunden ausschütten müssen, die den sogenannten Sicherungsbedarf übersteigen. Das ist der Betrag, der im jeweils aktuellen Zinsumfeld erforderlich ist, um die zugesagten Leistungen und Garantien zu sichern.

Was viele nicht wissen: An den Bewertungsreserven von Aktien oder Immobilien bleiben ausscheidende Kunden wie bisher auch zur Hälfte beteiligt. Nach Angaben des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) sind etwa 62 der knapp 88 Millionen Lebens- und Rentenversicherungspolicen von der Neuregelung betroffen.

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Buchgewinne deutlich gestiegen

Bewertungsreserven entstehen immer dann, wenn der aktuelle Marktwert eines Wertpapiers oberhalb des ursprünglichen Kaufpreises liegt. Bei festverzinslichen Wertpapieren sind diese sogenannten Buchgewinne aufgrund des Zinsrückgangs an den Kapitalmärkten in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen.

Die Versicherungswirtschaft spricht deshalb gerne von „Scheingewinnen“, denn der Wertzuwachs jedes festverzinslichen Papiers sei – anders als bei Aktien oder Immobilien – nur vorübergehend.

Je näher der Zeitpunkt rücke, zu dem ein festverzinsliches Papier fällig werde, desto stärker gehe sein Wert auf das Ausgangsniveau zurück, erklärt der GDV. „Die Bewertungsreserven sind am Ende der Laufzeit immer gleich Null.“

Versicherer lösen Wertpapiere auf

Doch bei manchen Lebensversicherern liegt der Ablaufzeitpunkt der festverzinslichen Anlagen noch so weit in der Zukunft, dass sie offenbar die Gelegenheit genutzt haben, Kasse zu machen.

Nach einer aktuellen Untersuchung des Ludwigshafener Betriebswirtschaftsprofessors Hermann Weinmann konnten die meisten der zwölf größten deutschen Lebensversicherer durch den Verkauf hochverzinslicher Wertpapiere hohe Gewinne einstreichen.

Seite zwei: „Reiche Lebensversicherer“?

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