Allianz Ablenkungsstudie: Klare Verbote, hohe Bußgelder – doch keiner kennt die Regeln

Bildagentur PantherMedia / Lev Dolgachov
Immer mehr Autofahrer nutzen Navi oder Smartphone während der Fahrt. Und befinden sich im gefährlichen Blindflug.

Neun von zehn Autofahrerinnen und Autofahrern kennen die Bußgeldhöhe bei Handyverstößen nicht, 29 Prozent halten längere Blickabwendung von der Straße für zulässig, 13 Prozent glauben, dass bei Stau- oder Autobahnassistenten, das Handyverbot nicht gelte. Die aktuelle Studie der Allianz zur Ablenkung am Steuer zeigt, dass die Fahrerablenkung durch moderne Technik deutlich gestiegen ist.

Und belegt eindrucksvoll, dass zu viele Autofahrerinnen und -fahrer die rechtlichen Voraussetzungen zur Nutzung elektronischer Geräte sowie von Assistenzfunktionen im Fahrzeug nicht kennen. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse fordert der Versicherer, dass neben den Ablenkungsrisiken durch Smartphone, Navi & Co. auch das Wissen um rechtliche Regelungen und drohende Strafen deutlicher stärker vermittelt wird.

So schätzen Autofahrer etwa den Verhaltensspielraum bei Fahrzeugen mit komplexen Fahrerassistenzfunktionen falsch ein, 13 Prozent der Befragten der Allianz Studie sind der Meinung, dass bei der Nutzung sogenannter Level-2-Assistenzsysteme, also Systeme die über längere Strecken Gas geben, bremsen sowie Abstand und Spur halten, wie der Stau- oder Autobahnassistent, ausdrücklich beide Hände dauerhaft vom Lenkrad genommen werden dürfen; ebenso viele glauben, das Handyverbot entfalle.

Sieben Prozent sagen, die Promilleregel gelte dann nur bedingt, gleich viele halten Kurzschlaf für möglich. Die Teilgruppe der Befragten, die solche Assistenzsysteme selber auch schon benutzt, antwortete vergleichbar. „Botschaften über neue Fahrzeugtechnik erzeugen oft falsche Erwartungen. Das Bild von der Zukunft des Verkehrs in automatisiert fahrenden Fahrzeugen bewirkt leider auch, dass viele die aktuelle Assistenztechnik überschätzen“, so Jörg Kubitzki, Sicherheitsforscher im Allianz Zentrum für Technik (AZT) und Autor der Studie. „Hier bedarf es weiterer Anstrengungen, um durch bessere Einweisung, Schulung und Aufklärung falsche Vorstellungen zu korrigieren.“

Bußgeld bei Handyverstoß: Nur 10 Prozent kennen die Regel

Nach Paragraf 23, 1a der Straßenverkehrsordnung (StVO) darf ein Mobiltelefon während der Fahrzeugführung nur nutzen, wer es hierzu nicht in die Hand nimmt. Seit 2017 gilt das für alle elektronischen Geräte zur Kommunikation, Information oder Organisation. Es drohen bis zu 200 Euro Bußgeld, ein bis zwei Punkte und gegebenenfalls ein Fahrverbot.

„Doch nur zehn Prozent der Befragten wussten eine richtige Antwort auf die Frage nach der Bußgeldhöhe bei Handyverstößen“, sagt Lucie Bakker, Schadenvorständin der Allianz Versicherungs-AG. „Im Schnitt schätzten sie die Bußgeldhöhe geringer ein, als sie ist. Jede beziehungsweise jeder Zehnte nannte eine Bußgeldhöhe von unter 50 Euro. Und zwei von drei gaben von vornherein an, keine Ahnung zu haben.“ Zugleich wird der Griff zum Smartphone am Steuer immer häufiger.

Bordcomputer bedienen – gefährlicher Blindflug

Die Pflichten für Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführer verlangen nach Paragraf 23, 1a Nr. 2b StVO, dass zur Bedienung verbauter oder verankerter elektronischer Geräte bei der Fahrt nur ein „kurzer“ Blick auf die Geräte gerichtet werden darf. „Weniger als die Hälfte der Befragten kannte diese Formulierung“, so Christoph Lauterwasser, Leiter des AZT. „Dass diese Maßgabe wenig bekannt ist, wäre noch zu verstehen. Aber 29 Prozent aller Befragten waren der Meinung, der Blick zum Gerät dürfe so lange dauern wie für die Bedienung erforderlich.“

Aus Sicht des Allianz Zentrum für Technik liegt auch in solchen Wissensdefiziten ein Grund für die hohe Zahl gefährlicher und vor allem gefährlich langer Aktivitäten, die Fahrerinnen und Fahrer beim Fahren mit technischen Geräten ausführen, sei es am Handy oder am Bordcomputer.

Rechtswissen ist Sicherheitswissen

„Dass schon wenige Sekunden Ablenkung zu einem langen Blindflug mit dem Auto führen, ist den meisten Menschen inzwischen bewusst, bei 50 km/h werden jede Sekunde 14 Meter zurückgelegt, bei Tempo 130 sind das schon 36 Meter“, so Lauterwasser. „Die Verkehrssicherheitsarbeit hat hier in den letzten Jahren sehr viel Aufklärung geleistet. Darüber hinaus sehen wir aber große
Wissenslücken bei rechtlichen Regelungen, den Konsequenzen bei ihrer Übertretung und beim Verständnis, was Technik leisten kann und was nicht.“ Aus Sicht der Allianz können konkrete Kampagnen gegen Ablenkung am Steuer, die alle Verkehrsteilnehmer stärker auf diese Risiken hinweisen, noch einiges bewirken.

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