EXKLUSIV

Hebel-ETFs boomen – doch nicht jeder versteht ihr Risiko

Foto: SmarterPix/Ana_Fox
Hebel-ETF sind in ihrer Funktion keineswegs trivial und brauchen viel Erfahrung des Anlegers.

Hebel-ETFs gewinnen seit Jahren an Bedeutung, vor allem bei privaten Anlegern. Die Produkte versprechen hohe Gewinne, bergen aber strukturelle Risiken, die häufig übersehen werden. Warum gerade das tägliche Funktionsprinzip problematisch ist und welche Fehler besonders oft auftreten, zeigt ein genauer Blick.

Seit einigen Jahren steigt die Nutzung von gehebelten ETFs spürbar an. Besonders seit 2020 hat sich das Interesse vieler Privatanleger deutlich verstärkt, da die Aussicht auf schnelle und hohe Gewinne eine starke Anziehungskraft entfaltet. Vor allem Produkte mit doppeltem oder dreifachem Hebel verzeichnen ein wachsendes Handelsvolumen, häufig im Technologie- und Indexbereich. Dieser Trend wirkt auf den ersten Blick nachvollziehbar, doch die Mechanismen hinter den Produkten werden von zahlreichen Nutzerinnen und Nutzern nur begrenzt verstanden – ein Umstand, der erhebliche Risiken birgt.

Hebel-ETFs reagieren auf Marktbewegungen mit verstärkter Wirkung, wodurch schon geringe Schwankungen zu deutlichen Ausschlägen führen. Während steigende Kurse kurzfristig attraktive Resultate erzeugen können, fallen auf der Gegenseite Verluste überproportional aus. Diese Dynamik wirkt im Grundsatz simpel, doch sie entfaltet ihr volles Risiko erst durch die Art, wie die Produkte konstruiert sind.

Die Bedeutung der täglichen Neuberechnung

Das zentrale Funktionsprinzip vieler Hebelprodukte besteht darin, dass sie auf Tagesbasis neu justiert werden. Dieser sogenannte Daily-Reset führt dazu, dass die Wertentwicklung über längere Zeiträume erheblich vom Verlauf des jeweiligen Index abweichen kann. Besonders in Märkten, die sich seitwärts bewegen oder mit hohen Intraday-Schwankungen konfrontiert sind, kann der Wert eines Hebel-ETFs schrittweise erodieren, obwohl der zugrunde liegende Index langfristig zulegt.


Das könnte Sie auch interessieren:

Viele Einsteiger verkennen diese mathematisch bedingte Abweichung. Sie orientieren sich am Basiswert und ziehen falsche Schlüsse über die zu erwartende Wertentwicklung. Das Ergebnis ist häufig eine Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität, die erst sichtbar wird, wenn bereits ein beträchtlicher Teil des Kapitals verloren ist. Diese Fehleinschätzungen verstärken sich, sobald die Produkte über längere Zeit gehalten werden.

Warum langfristiges Halten problematisch ist

Hebel-ETFs sind nicht für den dauerhaften Einsatz konstruiert. Sie dienen primär dazu, kurzfristige Marktbewegungen zu handeln oder einzelne Szenarien taktisch abzusichern. Wer die Produkte dennoch über Tage, Wochen oder gar Monate im Depot lässt, setzt sich einem ständigen Effekt aus: der fortlaufenden Abweichung durch die tägliche Anpassung. Dadurch können selbst moderate Schwankungen über längere Zeiträume einen erheblichen Wertverlust auslösen.

Parallel dazu tragen soziale Medien zur Verwirrung bei. Viele der dort verbreiteten Inhalte konzentrieren sich auf spektakuläre Gewinne, die aus einzelnen, stark trendgerichteten Marktphasen stammen. Nur selten wird erläutert, wie riskant diese Strategien tatsächlich sind oder welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit sie funktionieren. Dadurch entsteht ein verzerrtes Bild, das vor allem unerfahrene Anleger zu überhöhten Erwartungen verleitet.

Psychologische Fallstricke im Umgang mit Hebelprodukten

Neben der mathematischen Komponente spielen emotionale Faktoren eine ebenso große Rolle. Die Angst, etwas zu verpassen, führt viele dazu, Positionen zu eröffnen, ohne ein klares Konzept zu verfolgen. Gleichzeitig können starke Kursgewinne zu übertriebener Euphorie führen, während Verluste häufig reflexartige Nachkäufe auslösen. In solchen Phasen verlieren Anleger schnell die Kontrolle über ihre Depotstruktur und reagieren zunehmend impulsiv.

Mario Lüddemann (Foto: Lüddemann Investments GmbH)

Besonders kritisch sind inverse Hebelprodukte, die auf fallende Kurse setzen. Sie reagieren extrem sensibel auf kurze Gegenbewegungen und können in volatilen Marktphasen innerhalb kürzester Zeit erhebliche Teile ihres Werts einbüßen. Damit steigt das Risiko, bereits durch kleine Marktveränderungen in schwierige Situationen zu geraten, aus denen ein geordneter Ausstieg kaum noch möglich ist.

Strategien erfahrener Marktteilnehmer

Professionelle Handelsansätze unterscheiden sich grundlegend vom Vorgehen vieler Privatanleger. Erfahrene Marktteilnehmer nutzen gehebelte ETFs ausschließlich in genau definierten Szenarien. Sie arbeiten mit klaren Positionsgrößen, strikten Begrenzungen und eng gefassten Zeitfenstern. Zudem überprüfen sie ihre Positionen regelmäßig und passen sie an Marktveränderungen sofort an. Dadurch vermeiden sie, dass eine kurzfristig gedachte Position ungewollt zum Dauerrisiko wird.

Dieser professionelle Umgang zeigt auch, weshalb Hebelprodukte nicht für die langfristige Vermögensbildung geeignet sind. Die Konstruktion der Produkte widerspricht dem Prinzip des Buy-and-Hold, das langfristig auf Stabilität und stetige Wertentwicklung ausgelegt ist. Da Hebelprodukte gerade in volatilen Phasen stark an Boden verlieren können, sind sie für solche Strategien strukturell ungeeignet. Daher warnen auch europäische und nationale Aufsichtsbehörden regelmäßig vor einer unüberlegten Nutzung. Der hohe Komplexitätsgrad führt immer wieder dazu, dass falsche Erwartungen entstehen und Anleger ungeeignete Entscheidungen treffen.

Risikosignale im Marktumfeld erkennen

Ob sich der Handel mit Hebel-ETFs gerade in einer kritischen Phase befindet, lässt sich anhand einiger typischer Anzeichen erkennen. Eine ausgeprägte Tagesvolatilität weist darauf hin, dass selbst kleine Bewegungen erhebliche Auswirkungen auf die Produkte haben können. Ebenso erhöhen wirtschaftliche Ereignisse wie Zinsentscheide, Arbeitsmarktdaten oder geldpolitische Ausblicke die Unsicherheit und damit das Risiko. Auch enge Seitwärtsspannen mit abrupten Ausschlägen stellen eine Herausforderung dar, da der tägliche Reset in solchen Marktphasen besonders negative Effekte erzeugt.

Wer diese Signale erkennt, kann zumindest einschätzen, wann erhöhte Vorsicht geboten ist. Dennoch ersetzt dieses Wissen keine disziplinierte Vorgehensweise, sondern dient lediglich dazu, die Komplexität des Marktes besser zu verstehen.

Zentrale Regeln für einen verantwortungsvollen Einsatz

Damit der Umgang mit Hebel-ETFs nicht zur Belastung wird, brauchen Anleger einige grundlegende Prinzipien. An erster Stelle steht die Notwendigkeit einer klaren Strategie: Jede Position sollte mit einem definierten Ziel, einer klaren Haltedauer und einer festen Risikobegrenzung eröffnet werden. Darüber hinaus ist es entscheidend, Positionen engmaschig zu beobachten und frühzeitig anzupassen, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern.

Emotionale Entscheidungen sollten grundsätzlich vermieden werden, da sie in Kombination mit gehebelten Produkten besonders problematisch sind. Wer impulsiv handelt, riskiert, dass aus kleinen Fehlentscheidungen schnell große Verluste werden. Stattdessen braucht es einen nüchternen, strukturierten Ansatz, der die Besonderheiten dieser Instrumente berücksichtigt.

Schlussfolgerung: Anspruchsvolle Produkte, hohe Verantwortung

Hebel-ETFs bieten zweifellos eine beeindruckende Wirkungskraft, doch gerade diese Stärke macht sie anspruchsvoll im Umgang. Für langfristige Anlageziele eignen sie sich nicht. Wer sie dennoch nutzt, benötigt ein fundiertes Verständnis der Funktionsweise, eine konsequente Risikosteuerung und eine klare operative Disziplin. Der anhaltende Boom zeigt, wie schnell Chancen überschätzt und Risiken zugleich unterschätzt werden. Eine sachliche Auseinandersetzung mit diesen Instrumenten ist daher unverzichtbar, um Fehlentscheidungen zu vermeiden und den eigenen Handlungsspielraum zu wahren.

Autor Mario Lüddemann ist Geschäftsführer der Lüddemann Investments GmbH. Er hat fast 30 Jahre Berufserfahrung als Trader und bereits über 65.000 Transaktionen durchgeführt. 2020 und 2021 wurde er als „Trader des Jahres“ ausgezeichnet. Er und sein Team bei Lüddemann Investments bieten Interessenten Weiterbildungen für Investment oder Trading an. Sein Ziel: Vermögen selbstbestimmt und unabhängig von Banken und Versicherungen aufzubauen.

Mehr Informationen unter: https://mariolueddemann.com/

Weitere Artikel
Abonnieren
Benachrichtigen bei
0 Comments
Inline-Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen