Was eine KI ersetzen kann – und was nicht

ChatGPT
Foto: Picture Alliance
ChatGPT wurde vom US-amerikanischen Unternehmen OpenAI entwickelt und im November 2022 veröffentlicht.

Der Chatbot ChatGPT ist das Thema der letzten Monate, die KI wird ganze Branchen und Berufsfelder umwälzen. Welche Potenziale ergeben sich aus solchen KI-Systemen für den Finanzvertrieb?

ChatGPT? Bei einem Schnellcheck im Familien- und Freundeskreis hätten zu Jahresbeginn 2023 wohl fast alle Befragten ahnungslos mit den Schultern gezuckt. Nie gehört, vielleicht eine neue Spielkonsole? Das hat sich in nur wenigen Monaten schlagartig geändert. Heute kennt fast jeder den Chatbot, der vom US-amerikanischen Unternehmen OpenAI entwickelt und im November 2022 veröffentlichte wurde. Schon damals meldeten sich innerhalb von fünf Tagen nach der Veröffentlichung weltweit eine Million Nutzer an. Seitdem revolutioniert ChatGPT den privaten und beruflichen Alltag der Menschen, und die Welt schaut gebannt zu – fasziniert, aber auch besorgt, denn möglicherweise wird die Künstliche Intelligenz (KI) schon bald ganze Berufsfelder überflüssig machen. Nicht nur Journalisten, Fotografen oder Anwälte fragen sich, ob sie künftig noch gebraucht werden. Auch über dem Finanzvertrieb schwebt die bange Frage: Benötigt man künftig noch Maklerinnen und Makler, oder kann künftig auch eine KI die Beratung der Kunden übernehmen?

Frank Rottenbacher, Vorstand des Vermittlerverbandes AfW, hebt zunächst einmal die Vorteile der Automatisierung im Vermittlerbüro hervor. „So kann eingehende Kommunikation – auch Schadensbearbeitung – perspektivisch via KI erledigt werden. Beratungsdokumentationen werden automatisiert erstellt, entsprechende Wiedervorlagen angelegt, Cross- oder Upselling-Signale des Kunden erkannt und entsprechend dem Vertrieb automatisiert übergeben. Datenbestände können durch KI nach Beratungsansätzen durchsucht und Kunden automatisiert kontaktiert werden. Auch eine hohe Erreichbarkeit via Chatbot wird deutliche Zeitpotenziale freisetzen“, erwartet er. Dies verlange strategische Entscheidungen der Vermittler, welche Tools sie von welchem Anbieter einsetzen werden. Diejenigen, die diese Vorteile nutzen, werden seiner Einschätzung nach wieder mehr Zeit für ihre Kunden haben. „Ist es nicht das, wonach die Branche seit Jahren ruft?“, so Rottenbachers rhetorische Frage.

Auch Christian Glanz, Mitglied des Vorstands der Deutschen Vermögensberatung (DVAG), sieht bei den KI-Systemen viel Potenzial im Bereich der Automatisierung. „Standardprozesse und einfache Tätigkeiten lassen sich automatisieren, um Kapazitäten für komplexe, aufwendigere Aufgaben freizumachen. Nehmen wir als ein Beispiel den elektronischen Antrag, der bei uns den Papierantrag weitgehend abgelöst hat. Ohne diesen könnten wir die Menge des eingereichten Geschäfts administrativ inzwischen gar nicht mehr zeitnah abwickeln. Im Dezember letzten Jahres wurden beispielsweise an einem Tag über 18.000 Anträge eingereicht. Über den Papierweg wären über 300 zusätzliche Stunden vonnöten gewesen, um diese noch vor Jahresende zu erfassen – in dieser kurzen Zeit kaum realisierbar.“ Für Glanz ist aber klar, wo KI an ihre Grenzen stößt: „KI-Systeme können zwar große Mengen an Daten analysieren und auch Sprachsysteme kann man in begrenztem Maße einsetzen, aber sie können nicht individuelle Nuancen und Präferenzen berücksichtigen, die eine persönliche Beratung ausmachen. Und auch bei komplexen Serviceanliegen stoßen Sprachsysteme an ihre Grenzen. Spezifische rechtliche oder technische Informationen lassen sich kaum abbilden. Der direkte Kontakt bleibt hier einfach unschlagbar.“

Die DVAG setzt KI laut Glanz als digitale Unterstützung für ihre Vermögensberater ein. „Als wachsendes Unternehmen erreicht uns eine immer höhere Anzahl an Servicefragen. Daher ist eine KI-gestützte Hotline für unsere Vermögensberater eine enorme Entlastung. Denn sie haben wirklich Besseres zu tun, als in langen Hotline-Schleifen zu hängen. Gerade bei häufig gestellten Fragen wie zum Beispiel Passwortänderungen kommt die KI hier zum Zug. Bei komplexen Fällen setzen wir weiterhin auf die direkte Hilfe durch kompetente Mitarbeiter“, erläutert er. Eine weitere Anwendung, um die Vermögensberater bei administrativen Vorgängen zu entlasten, sei der DVAG-Mail-Helfer. „Dies ist ein Textgenerator, der sich den vielfältigen Möglichkeiten der aktuell zur Verfügung stehenden KI bedient. Hiermit können zum Beispiel Geburtstagswünsche und Anschreiben an empfohlene Kontakte individuell – mit ChatGPT im Hintergrund – generiert und versendet werden. Aber auch hier ist ein kurzer, persönlicher Blick durch den Bearbeiter auf das Schreiben sicherlich nicht verkehrt.“

Keine Bedrohung für den Berufsstand?

Die KI als digitaler Assistent, der keine Bedrohung für den Berufsstand darstellt – auch Rottenbacher gefällt diese Vorstellung. Er erwarte nicht, dass KI-Beratungssoftware zu einer Abschaffung der Berater führen wird, sagt er. „Bei mir bleiben da große Zweifel, ob das wirklich so passieren wird, und ich sehe das auf absehbare Zeit nicht. Denn: Werden sich die für uns spannenden Zielgruppen wirklich komplett virtuell beraten lassen – insbesondere die vermögenden Zielgruppen ab 40/50? Wie schnell können komplexe Beratungsthemen durch KI individualisiert abgebildet werden? Kann eine KI die für ein Beratungsgespräch so wichtige Empathie entwickeln und auf zwischenmenschliche Signale gut eingehen und das notwendige Vertrauen schaffen? Wie reagieren die Kunden im Hinblick auf Datenschutz auf eine volldigitalisierte Beratung? Wie reagieren Kunden, die die Datenbasis der beratenden Software nicht einschätzen können? Kann die aktive Neukundenansprache durch KI funktionieren?“ Alle diese Fragen sprechen aus seiner Sicht für kompetente Berater, die den individuellen Kundenbedarf inhaltlich und emotional in der Beratung aufgreifen können.

Plansecur-Geschäftsführer Heiko Hauser teilt Rottenbachers Sichtweise: „KI ist sicherlich eine weitreichende Umwälzung. Aber überlegen Sie einmal, ob Sie die Frage nach Ihrer Altersversorgung inklusive biometrischer Risiken auf viele Jahrzehnte Ihres Lebens lieber mit einer KI oder mit einem Menschen besprechen wollen? Oder die Absicherung Ihrer Familie im Falle einer Berufsunfähigkeit oder gar im Todesfall? Oder alles, was Ihnen sonst noch in finanzieller Hinsicht wirklich – ich betone wirklich – wichtig ist?“ Die KI werde sich weiter entwickeln, aber die Lebenserfahrung, die Empathiefähigkeit, die Diskussion von Kundensituationen in einem Expertenkreis werde sie noch sehr lange nicht ersetzen können – wahrscheinlich niemals. Bei Plansecur werde KI bisher an den Stellen eingesetzt, wo es nicht um vertrauliche Daten geht. „Vor allem in Kommunikation und Marketing gibt es Anwendungen, die zu ersten Effizienzsteigerungen geführt haben. Darüber hinaus verfolgen wir die Entwicklungen der Technologie intensiv. In unseren Kernprozessen – dort, wo es um Kundendaten geht – ist der Einsatz von KI für uns erst denkbar, wenn der Datenschutz gewährleistet ist“, betont Hauser.

Der Münchner Maklerpool Fonds Finanz hat eine weitere Anwendungsmöglichkeit von KI entwickelt, die Vermittlern den Alltag erleichtern soll: einen digitalen Social-Media-Manager, der für die Makler Texte und Bilder erstellt und entscheidet, zu welchem Zeitpunkt der Post idealerweise abgesetzt wird. „Der Makler gibt ein paar Informationen über sich preis: Wer bin ich? Was tue ich? Welche Zielgruppe habe ich? Dann erstellt der digitale Social-Media-Manager individuelle Posts für seine Zielgruppe. Er schaut sich an, aus welcher Sichtweise er schreiben soll, wer die Zielgruppe ist und was sie interessiert und erstellt dann einen Themen- und Redaktionsplan, die Social-Media-Posts und am Schluss sogar die Bilder dazu“, erläutert Jonathan Posselt, Teamleiter für Social-Media-Marketing bei der Fonds Finanz. Bei den Maklern komme das grundsätzlich gut an, sagt er. „Ich sehe bei der Social-Media-KI, dass dieses Thema sehr positiv von den Versicherungsmaklern wahrgenommen wird, denn solche Dinge sind nicht ihre Kernkompetenz. Ganz im Gegenteil: Sie können sich jetzt auf das konzentrieren, was ihre Kernkompetenz ist, nämlich die Versicherungsberatung. Dinge, in denen sie nicht so viele Kenntnisse mitbringen, können sie an die KI auslagern.“

Posselts Chef Norbert Porazik hatte bereits im September auf der Hauptstadtmesse der Fonds Finanz Stellung zu der Frage bezogen, ob KI die Makler in ihrer Existenz bedroht. Laut Porazik ist zwar grundsätzlich jeder Job in Gefahr, von einer KI ersetzt zu werden. Er sei aber guter Hoffnung, dass es die ungebundenen Vermittler als letztes treffen werde. „Ich bin mir sicher, dass die nächsten Jahre und Jahrzehnte sehr golden für Versicherungsmakler werden, weil wir viele Prozessschritte deutlich vereinfachen und schneller machen. Dadurch wird der Versicherungsmakler deutlich effizienter arbeiten und viel mehr Kunden beraten können. Social Media würde ja sonst viele Stunden dauern.“ In einigen Jahrzehnten werde sich dann zeigen, ob eine KI auch Emotionen wahrnehmen und in der Beratung berücksichtigen könne. „Da gibt es noch sehr hohe Hürden, zum Beispiel die Beratung der Kunden im Schadensfall. Deshalb glaube ich, dass der Versicherungsmakler noch sehr lange Zeit existieren wird. Einige Dinge wird eine KI nie ersetzen können, aber sie wird den Job sehr viel attraktiver machen.“ Diese Prognose scheint in der Branche Konsens zu sein. Ob es wirklich so kommt, weiß im Moment wahrscheinlich noch nicht mal eine KI.

Kim Brodtmann, Cash.

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