Leitzinsen steigen weiter – was heißt das für den Immobilienmarkt?

Dr. Lucie Lotzkat
Foto: von Poll Imnmobilien
Dr. Lucie Lotzkat, geschäftsführende Gesellschafterin bei von Poll Finance und Geschäftsstellenleiterin bei von Poll ImmobilienVechta

Die niedrigen Hypothekenzinsen gehören der Vergangenheit an. Vielmehr wird die Vier vor dem Komma das neue Normal. Was das für Kaufinteressenten und Immobilienverkäufer bedeutet – vor allem hinsichtlich der neuen Leitzinserhöhungen durch die Europäische Zentralbank (EZB).

Das Jahr 2022 war mehr als ereignisreich – insbesondere mit einem Zinsanstieg, den in der Höhe und vor allem in der Schnelligkeit niemand vorausgesagt hätte. Lag eine eigenkapitalstarke Immobilienfinanzierung vor genau einem Jahr noch bei rund 0,8 Prozent, steht sie heute unter identischen Annahmen zwischen 3,5 Prozent und 3,8 Prozent*. Hinsichtlich dieser Entwicklungen und einer Vielzahl an externen Faktoren sind Vorhersagen aktuell so schwierig wie nie zu treffen. Auch unter Experten gehen die Meinungen zur weiteren Zinsentwicklung stark auseinander. Einigkeit besteht jedoch in der Aussage, dass eine signifikante Abwärtsbewegung der Zinsen zunächst nicht zu erwarten ist.

Zusätzlich hat die EZB den Leitzins Anfang Februar 2023 nochmals um 0,5 Prozentpunkte auf 3 Prozent angehoben und die nächste Erhöhung bereits für März 2023 angekündigt. Auch wenn es keine unmittelbare Kausalität zwischen dem Leitzins und dem Baufinanzierungszins gibt, so reagiert dieser doch über indirekte Zusammenhänge.

Auswirkungen für den Immobilienmarkt

Die Annahme der von Poll Finance-Experten ist, dass sich eine Erhöhung des Leitzinses um insgesamt einen Prozentpunkt – wenn die Erhöhung denn so realisiert wird – durchaus bemerkbar machen wird, auch wenn voraussichtliche Leitzinserhöhungen über die Erwartungshaltung von Anlegern teilweise schon vorab in Finanzierungskonditionen eingepreist werden. Eigenkapitalstarke Finanzierungen könnten damit schon bald bei einem Zinsniveau zwischen 4 Prozent und 4,5 Prozent liegen.

Wenn Kaufinteressenten daher ihre Wunschimmobilie gefunden und Alternativen sowie finanzielle Möglichkeiten genau kalkuliert haben, sollten sie nicht zu lange zögern. Zum einen, weil eine vergleichbare Immobilie zukünftig nicht mehr oder nur mit Abstrichen verfügbar sein wird. Zum anderen, weil der Verbleib in einem Mietverhältnis keine echte Alternative ist, wenn die finanziellen Mittel für den Kauf einer Eigentumswohnung oder eines Hauses vorhanden sind. Dafür stehen zwei Gründe: Erstens, werden die Mieten, gerade auch mit Blick auf die Inflation und Wohnungsknappheit, weiter steigen. Zweitens, haben Mieter ihre Nebenkostensituation nicht in der Hand, weil sie abhängig von den energetischen Sanierungen sind, die ihr Vermieter durchführt oder eben nicht.

Um für Klarheit bei der Kaufentscheidung zu sorgen, ist jedoch eine frühzeitige und umfassende finanzielle Machbarkeitsprüfung wichtiger denn je. Während Privatpersonen nur bei ihrer Hausbank, höchstens noch bei einer zweiten oder dritten Bank, Finanzierungsangebote einholen, bieten professionelle Finanzierungsexperten einen schnellen und transparenten Vergleich einer Vielzahl von Darlehensgebern. Die von Poll Finance-Experten beraten beispielsweise deutschlandweit mit einer garantierten Best-Zins-Prüfung aus rund 700 Darlehensgebern und entwickeln die individuell beste Lösung für Kaufinteressenten.

Eine neue Zinslage wird auch auf den Verkäufermarkt Einfluss nehmen. Jedoch werden Immobilien in sehr guten und guten Lagen sowie Immobilien eines jüngeren Baujahres wohl kaum oder nur geringfügig fallende Immobilienpreise verzeichnen. Denn der teilweise zu beobachtenden Kaufzurückhaltung stehen bereits einige gegenläufige Effekte gegenüber, die eine weiterhin stabile Nachfrage vermuten lassen. Erstens: Das aktuelle Wegbrechen des Neubaumarktes führt bei Kaufinteressenten zu einem Umschwenken auf gepflegte und gut gelegene Bestandsimmobilien und damit zu einer weiterhin guten Nachfrage in diesem Segment. Zweitens: Die nach wie vor hohe Inflation macht den Immobilienerwerb für kapital- beziehungsweise bonitätsstarke Käufer weiterhin attraktiv. Und drittens: Bei steigenden Mieten und Wohnnebenkosten kann ein Kauf auch bei hohen Finanzierungsraten künftig wieder vorteilhaft sein.

Szenarien der Inflationsentwicklung

Dennoch verbleibt eine gewisse Unsicherheit bezüglich der zukünftigen Entwicklung, weshalb Eigentümer, die kurz- oder mittelfristig verkaufen möchten, dies ebenfalls nicht zu lange aufzuschieben sollten. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um eine Bestandsimmobilie eines älteren Baujahres handelt. Hier könnten weitere Faktoren, wie die anvisierten Sanierungspflichten und Energieeffizienz-Auflagen, den Verkaufspreis zusätzlich beeinflussen.

Interessant ist zudem, wie sich die Leitzinserhöhungen auf die weitere Entwicklung der Inflation auswirken werden. Dieses Thema ist sehr komplex, da die Hintergründe der Inflation sehr vielschichtig sind. Wo stehen wir also? Aktuell befindet sich Deutschland in einer Stagflation, bei der auf der einen Seite die Wirtschaft stagniert und auf der anderen Seite eine Inflation das Preisniveau beeinflusst. Ursache dafür ist eine Angebotsverknappung, weil auf der Angebotsseite Kapazitäten und Lieferfähigkeiten fehlen, insbesondere getrieben durch die Pandemie, den Krieg in der Ukraine sowie die rückläufige demografische Entwicklung beziehungsweise den damit zusammenhängenden Arbeitskräftemangel. Das ist in der Summe und zum jetzigen Zeitpunkt bereits schwer zu bewältigen. Wenn aber nun die Tarifverhandlungen beginnen – die Gewerkschaften also höhere Löhne als Inflationsausgleich fordern – und damit die Lohn-Preis- Spirale in Gang setzen, könnte die Gefahr bestehen, dass die Bemühungen der Inflationsbekämpfung nicht vollständig den gewünschten Effekt erzielen werden.

Auch ein Blick auf die Erzeugerpreise ist bei der Einschätzung zur weiteren Inflationsentwicklung relevant. Immerhin befinden sie sich seit Monaten auf einem historisch hohen Niveau und erhöhten sich, laut Statistischem Bundesamt, im Dezember 2022 um 21,6 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Diese Entwicklung wirkt sich mit Blick auf die Vergangenheit mit einer Verzögerung von vier bis fünf Monaten auf die Endverbraucherpreise aus. Daher ist anzunehmen, dass die Inflation in der ersten Jahreshälfte nicht signifikant absinken wird.

Tendenzen für eine positive Entwicklung

Fakt ist aber auch, dass die Zahlen für 2022 zeigen, dass sich die deutsche Wirtschaft dank eines minimal positiven Wachstums als widerstandsfähiger erwiesen hat als gedacht. Unter anderem, weil Deutschland und andere europäische Länder die Energiekrise besser verkraftet haben. Außerdem erwarten die meisten Experten – auch wenn sie unterschiedlicher Meinung bei ihren Prognosen sind – dass im Laufe des Jahres 2023 die ersehnte Trendwende erreicht wird. Ein wesentlicher Faktor könnte dabei die Abkehr Chinas von seiner Null-Covid-Strategie und die allgemeine Aufhebung der Quarantäne-Regelungen sein. Das würde die erläuterte Angebotskrise deutlich entspannen. Auch wenn weitere Zinserhöhungen bevorstehen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass zur Jahresmitte das Schlimmste bereits überstanden ist, die Inflation – wie jetzt schon in den USA zu beobachten ist – langsam zurückgeht und sich das Zinsniveau in der Folge stabilisieren wird.

*Stand: 6.2.2023

Autorin Dr. Lucie Lotzkat, geschäftsführende Gesellschafterin bei von Poll Finance und Geschäftsstellenleiterin bei von Poll Immobilien Vechta.

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