Die Halver-Kolumne: Europa im Sarajevo-Zustand

Geschichtliche Vergleiche mögen manchmal hinken. Aber dennoch möchte ich die aktuelle Staatsschuldenkrise in Euroland mit der politischen Krise Europas von 1914 in Verbindung bringen. Die katastrophale Kettenreaktion kann sich wiederholen.

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Damals war ein tragisches Ereignis in Sarajevo der Auslöser für anschließenden verheerenden Entwicklungen auf unserem Kontinent. Die Historiker sind sich heute einig, dass erst das unkluge europäische Krisenmanagement der einzelnen Länder die dann folgende katastrophale Kettenreaktion ausgelöst hat.

Staatsanleihen der Eurozone gemieden wie Weihwasser vom Teufel

Und heute auf finanzpolitischer Ebene in Europa finden wir wieder genau das gleiche, völlig unzureichende, teilweise erbärmliche Krisenmanagement vor. Die Staatsschuldenkrise wird zerredet und nicht mutig mit unkonventionellen Instrumenten gelöst. Wir leisten uns stattdessen schwerfällige Lösungsdiskussionen, ohne bemerken zu wollen, dass das noch junge euroländische Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Wir können dem Kind wohl kaum zurufen, es möge doch bitte schwimmen lernen, damit es sich aus eigener Kraft rettet. Dafür ist keine Zeit mehr. Es droht zu ertrinken. Das Kind muss raus und zwar schnell.

Und da wundert man sich in den Hauptquartieren Brüssel und Berlin noch, dass angesichts dieser Lethargie weltweit bereits Notfallpläne für den Fall der Fälle ausgearbeitet werden. In der Konsequenz meidet die außereuropäische Anlegerschar Staatstitel der Eurozone wie der Teufel das Weihwasser. Und schaut man sich jetzt an, mit welchen gewaltigen Volumina die Staaten Eurolands in den nächsten zwei Jahren am Kapitalmarkt um Geld bitten, droht die Refinanzierungs-Apokalypse.

Natürlich ist es sinnvoll, langfristig auf Etatdisziplin zu achten und Stabilitätssünder in die Schranken zu weisen. Auch ich habe überhaupt nichts gegen Stabilität, im Gegenteil, ich finde sie großartig. Aber wir können sie uns zumindest jetzt nicht mehr in Reinkultur leisten. Ohnehin ist sie leider nur die halbe Miete. Denn Länder wie Spanien und Italien brauchen Zeit und Ruhe, um ihre Reformbemühungen in die Tat umzusetzen. Die Finanzmärkte werden allerdings nicht mehr warten, bis Reformen bzw. fiskalunionistische Vertragsänderungen umgesetzt sind. Auch werden die Rating-Agenturen als selbsternannte Fahnenträger von Glaube, Sitte und Anstand nicht zögern, weiter gezielt zu schießen.

Einen Stabilitäts-Tod werden wir sterben müssen

Wir müssen insgesamt zweigleisig fahren. Zeitgleich mit der Etablierung von verstärkten Daumenschrauben für Stabilitätssünder muss die Europäische Zentralbank – ich sehe keine, wirklich keine Alternative – die Anleihemärkte massiv durch Aufkäufe stützen, eben die Zinsen drücken. Insofern erkauft unsere Notenbank diesen Ländern Zeit, damit sie ihre Hausaufgaben in Ruhe machen können.

Grundsätzlich wird die Geldpolitik – das sehen wir seit einigen Tagen – an den Finanzmärkten Ernst genommen. Gegen die EZB kann man beim Pokern nicht gewinnen. Die wertvollen Trümpfe hat nur sie. Über diese Qualitäten verfügt die Politik aufgrund ihres wechselstromähnlichen Verhaltens schon lange nicht mehr.

Außerdem bin ich die Stabilitätsheuchelei leid. Denn bereits bis dato hat die EZB für über 200 Mrd. Euro Staatsanleihen aufgekauft. Sollte die EZB dieses Tempo fortsetzen, wird sie in zwei Jahren – so eine Hochrechnung – annähernd ohnehin zwei Billionen Staatsanleihen ihr Eigen nennen. Übrigens ist die EZB ja unabhängig. Sie kann also kaufen, wann immer und wie viel auch immer sie will, ohne die Politik fragen zu müssen. Diese liquiditätspolitische Sorgenpause hat natürlich ihr Risiko. Die Inflation wird längerfristig ansteigen. Aber diesen Stabilitäts-Tod werden wir leider sterben müssen.

Lesen Sie auf Seite 2, warum dies nicht das Ende der Eurozone ist.

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