Google: “Nicht der Kern unserer DNA“

Cash. sprach mit Jan Meessen, Industry Manager Insurance bei Google Deutschland, über die Unterstützung der Versicherungskonzerne bei der digitalen Transformation, einen möglichen Einstieg ins Versicherungsgeschäft und persönliche Beratung für „Digital Natives“.

Jan Meessen: „Die User werden in Zeiten der Digitalisierung immer ungeduldiger.“

Cash.: Herr Meessen, Sie sind Industry Manager Insurance bei Google Deutschland. Wie sieht Ihr Job aus, was ist Ihre Aufgabe bei Google?

Meessen: Ich berate Versicherungskonzerne bei der Frage, wie sie ihre Ziele entlang der gesamten Wertschöpfungskette über digitale Kanäle erreichen können.

Der Fokus liegt dabei auf Marketing und Vertrieb, ich betrachte aber auch andere Bereiche wie beispielsweise die Infrastruktur oder das Prozessmanagement, um den Versicherern dabei zu helfen, die digitale Transformation umzusetzen.

Wir haben bestehende Partnerschaften mit verschiedenen großen Versicherungen, sprechen aber auch neue Kunden an.

Sie sehen sich also als Dienstleister für die Versicherungen, nicht als Konkurrent?

Meessen: Als Partner und Dienstleister, ja.

Im März 2016 hat Google in den USA und in England sein Vergleichsportal Compare wegen mangelnder Kundenresonanz nach nur einem Jahr wieder abgeschaltet. Branchenexperten unken, es sei dennoch naiv zu glauben, dass Google keinen neuen Einstieg ins Versicherungsgeschäft wagen wird. Zu Recht?

Meessen: Grundsätzlich passen Versicherungen nicht zu unserem eigentlichen Geschäftsmodell. Wir sind ein Technologiedienstleister und wollen unseren Kunden und Partnern helfen, die digitale Transformation umzusetzen. 80 Prozent unseres Umsatzes stammt aus unserem Anzeigengeschäft. Letztlich liefern wir Technologie und Werbeplätze.

Aus Sicht von Dr. Karsten Eichmann, Vorstandschef der Gothaer, ist das Geschäftsmodell der Versicherer für Internet-Giganten wie Google nicht interessant, weil sie ihre durchschnittliche Profitabilität dadurch massiv senken würden. Unternehmen wie Google hätten Umsatzrenditen von um die 30 Prozent, die Versicherer eher von ein bis drei Prozent. „Warum sollte ein Unternehmen wie Google seine Marge verschlechtern?“, fragt er. Hat er damit recht?

Meessen: Ja, denn er unterstreicht damit letztlich das, was ich gerade gesagt habe: Versicherungen sind nicht der Kern unserer DNA.

Eine Studie der Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners hat im letzten Jahr ergeben, dass rund 80 Prozent der Versicherer mit ihren Digitalisierungsmaßnahmen keinen messbaren Einfluss auf ihren Umsatz verbuchen können. Die aktuellen Initiativen seien schlecht durchdacht und oft nicht gut umgesetzt. Können Sie das bestätigen?

Meessen: Wir sehen ein sehr großes Potenzial für Versicherungsunternehmen bezüglich der Digitalisierung. Im letzten Jahr haben wir gemeinsam mit der Unternehmensberatung Bain eine Studie veröffentlicht, für die wir untersucht haben, inwieweit die Top-Technologien zur Optimierung von Kostenstruktur und Umsatz bei den Versicherungen beitragen können und viele relevante Anwendungsfälle identifiziert.

Die Digitalisierung wurde auch bereits von den Versicherern als bedeutendes Thema erkannt und in ihre Strategien integriert. Es gibt schon einige greifbare Erfolgsgeschichten, zum Beispiel hat eine Versicherung Machine Learning genutzt, um die digitale Neukundenakquise zu optimieren.

Die Kosten pro Neuabschluss konnten so um 25 Prozent reduziert werden. Andere Beispiele zeigen, dass auch Prozess- und Claimsmanagement durch Machine Learning optimiert werden können.

Aufgaben, für die manuell eine Stunde aufgewendet werden muss, können so in fünf Sekunden umgesetzt werden. Man darf aber nicht vergessen, dass die Umsetzung der Digitalisierung nicht trivial ist, schließlich ist sie mit großen IT-Projekten verbunden und ein großer kultureller Wandel geht damit einher.

Das lässt sich nicht innerhalb von drei Monaten machen, sondern erfordert eine mittel- bis langfristige Strategie.

In einem Vortrag in der Hamburger Handelskammer haben Sie im vergangenen Jahr gefordert, Versicherer sollten ihre Websites omnikanalfähig machen und besonders den zunehmenden Trend zur Internetnutzung auf mobilen Geräten beachten. Das gehöre zu ihrer Basisarbeit. Wie gut sind die Versicherer darin bereits?

Meessen: Alle Versicherer haben dieses Thema auf der Agenda. Der nächste Schritt muss jetzt die Optimierung der mobilen Assets hinsichtlich Nutzerfreundlichkeit und Geschwindigkeit sein.

In Zeiten der Digitalisierung werden die User immer ungeduldiger und erwarten, dass mobile Webseiten innerhalb von drei Sekunden geladen sind – sonst springt über die Hälfte der User wieder ab.

Hier kann die Versicherungsbranche noch viel vom Retailbereich lernen – dort ist man bereits schneller, mobiler und nutzerfreundlicher.

Ist es aus Ihrer Sicht ein Trugschluss, dass viele Versicherer die Insurtechs mittlerweile eher als willkommene Partner denn als Gegner ansehen? Immerhin treten immer mehr Start-ups auch als digitale Versicherer auf.

Meessen: Anders als im Retailbereich sind die Markteintrittsbarrieren in der Versicherungsbranche sehr hoch. Aufgrund von regulatorischen Anforderungen und Eigenkapitalquoten gibt es weniger Start-ups als in anderen Branchen.

Deshalb brauchen die Insurtechs oft die klassischen Versicherungsunternehmen, um überhaupt an den Markt kommen zu können. Die traditionellen Player wiederum arbeiten gern mit Insurtechs zusammen, um neue Trends und Technologien nutzen zu können, ohne sich gleich transformieren zu müssen. Aktuell ist es also eine „win-win“-Situation.

Wie kann Google die Vermittler in ihrer Arbeit unterstützen?


Meessen: Da gibt es verschiedene Ansätze. Naheliegend ist, dass man zentral gesteuerte und lokal ausgespielte Vermittlerkampagnen startet, unter dem Motto „Finde den nächsten Versicherungsberater in deiner Nähe“.

Dabei werden dem User der Weg zur Agentur und die Telefonnummer angezeigt und er kann online einen Termin vereinbaren.

Es heißt immer wieder, dass die Menschen in beratungsintensiven Sparten wie Leben und PKV auch künftig nicht auf persönliche Beratung verzichten wollen. Wird das auch noch so sein, wenn die Generation der „Digital Natives“ erwachsen ist?

Meessen: Aktuell werden 25 Prozent aller Versicherungsprodukte online abgeschlossen. Das ist noch ein relativ kleiner Anteil, doch wenn man sich die Entwicklung seit 2012 anschaut, dann sieht man, dass sich der Anteil seitdem fast verdoppelt hat.

Wir gehen dennoch davon aus, dass es bei sensiblen Themen und komplexen Produkten auch mittelfristig einen Bedarf an persönlicher Beratung geben wird. Darüber hinaus stellen wir fest, dass bei 84 Prozent aller Versicherungsabschlüsse vorher ein initialer Rechercheprozess im Internet stattgefunden hat.

Die User werden sich künftig immer häufiger online informieren, sie kommen gut informiert zum Vermittler und wissen schon über Preise und Produkte Bescheid. Die größte Herausforderung für die Versicherungen wird es sein, Online- und Offline-Welt zu einem ganzheitlichen Kundenerlebnis zu verknüpfen.

Google hat ja den Anspruch, die Zukunft der Menschen zu gestalten, deshalb möchte ich Sie zum Schluss noch um einen Ausblick auf die nächsten Jahre bitten: Wie sieht der deutsche Versicherungsmarkt in fünf bis zehn Jahren aus?

Meessen: In fünf bis zehn Jahren wird man auf jeden Fall sehen können, wie Top-Technologien genutzt werden, zum Beispiel Smart Home: Wie arbeiten vernetzte Geräte untereinander und wie können die Daten genutzt werden, um neue Versicherungs- produkte zu gestalten?

Das Thema Machine Learning wird von den Versicherungsunternehmen gelebt werden und voll ins Tagesgeschäft integriert sein. Ich erwarte, dass Technologien wie Virtual Reality für die Schadenserkennung genutzt werden, zum Beispiel in der Sparte Kfz-Policen.

Der Bereich Omnichannel wird besser aus- gebaut sein, mit Videokonferenzen und Online-Formularen, sodass es keine Medienbrüche mehr gibt.

Auf welche Versicherungssparten wird die Digitalisierung die größten Auswirkungen haben?


Meessen: Die Digitalisierung wird auf alle Sparten Einfluss haben. Einige Bereiche wie die Sachversicherungen werden schneller davon profitieren, weil die Digitalisierung dort einfacher umsetzbar ist und die Themen nicht ganz so sensibel sind. Leben und Kranken werden aber nachziehen.

Lesen Sie das vollständige Interview in der aktuellen Cash.-Ausgabe 5/2018.

Interview: Kim Brodtmann

Foto: Angela Pfeiffer

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