„Der weltweite Gesundheitssektor ist ein Zukunftsmarkt.“

Rudi Van Den Eynde
Foto: Michel de Bray
Rudi Van Den Eynde: „Wir haben Technologien im Fokus, die eine bessere Effizienz von Therapien versprechen.“

Der komplexe Kampf gegen den Krebs erfordert stets neues Denken und neue Strategien zur Diagnostik und Behandlung. Der Künstlichen Intelligenz kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu und bietet ganz neue Möglichkeiten.

Das Universitätsklinikum Heidelberg hat ein neues Kapitel im Kampf gegen den Krebs aufgeschlagen. In einer jüngst veröffentlichten Studie haben die Wissenschaftler dort den konkreten Nutzen eines Verfahrens für die Diagnose von Hirntumoren belegen können. Das Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg, das Deutsche Krebsforschungszentrum und das Universitätsklinikum haben das neue Tool gemeinsam entwickelt. Möglich gemacht hat diesen Erfolg ganz wesentlich der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI), die die Ärzte bei der Analyse sogenannter Methylierungsmuster unterstützt. Damit werden nun Hirntumore bei Kindern und Jugendlichen nicht nur präziser, sondern bei bestimmten Tumorgruppen auch zuverlässiger klassifiziert als mit dem Mikroskop.

Im rund 300 Kilometern entfernten München beschäftigt sich ein deutsch-dänisches Team bei der Max-Planck-Gesellschaft mit der Frage, wie Krebserkrankungen entstehen und welche Veränderungen in der Zellstruktur die bösartigen Eigenschaften von Tumoren forcieren. Verlässliche Antworten darauf zu finden, wäre ein bedeutender Durchbruch für die Forschung und Medizin. Ärzte und Wissenschaftler hätten damit endlich einen Schlüssel in der Hand, um Krebserkrankungen zu verstehen und Therapien für eine dauerhafte Heilung finden zu können. Die Aussicht darauf hat sich durch ein Verfahren, das sich Deep Visual Proteomics nennt, erheblich verbessert. Dieser Prozess verbindet – vereinfacht gesagt – die datenintensive Bildgebung von Zellkulturen oder archiviertem menschlichen Gewebe mit einer Zellsegmentierung und der Identifizierung von Zelltypen und -zuständen. Beides basiert auf Deep Learning.

An anderen Orten trainieren Forscherteams KI-Systeme mit Daten zur Wirksamkeit, Bioverfügbarkeit und den Nebenwirkungen von bereits bekannten Wirkstoffen. Die so entwickelten Algorithmen sollen diese Faktoren bei neu entdeckten Wirkstoffen voraussagen. So beschleunigen sie im Erfolgsfall die Entwicklung neuer Therapien und Medikamente.

Algorithmen beschleunigen medizinischen Fortschritt

Bessere Diagnostik, tiefere Grundlagenforschung, schnellere Prozesse – nur drei Beispiele, die zeigen, wie KI den medizinischen Fortschritt derzeit auf allen Ebenen revolutioniert. Daher beobachten wir diese Entwicklung sehr genau und haben für unsere Onkologie- und Biotech-Fonds vor allem Technologien im Fokus, die eine bessere Effizienz von Therapien und Forschungsprozessen versprechen.
Lungenkrebs zum Beispiel ist mit fast zwei Millionen Todesfällen pro Jahr die tödlichste Krebserkrankung. Medizinforscher der Feinberg School of Medicine und Wissenschaftler von Google AI haben auch hier einen Algorithmus entwickelt, mit dem sich bösartige Lungenknötchen – die zuweilen winzig klein sind – mit einer Erfolgsrate von 94,4 Prozent erkennen lassen. Das hat zwei Vorteile: Zum Einen erhöhen sich die Heilungschancen von Patienten – denn je früher der Tumor erkannt wird, desto besser die Aussichten. Gleichzeitig sinken die Kosten für das Gesundheitssystem, weil weniger kostspielige, invasive und für Patienten riskante Kontrolluntersuchungen erforderlich sind.

Krebs bleibt die Geißel einer alternden Weltbevölkerung

Der weltweite Markt für Onkologie-Medikamente ist heute etwa 200 Milliarden Dollar schwer. Er ist damit nicht nur der größte Teilbereich des Gesundheitsmarkts. Auch das geschätzte Wachstum für die kommenden Jahre wird als das vergleichsweise dynamischste betrachtet – bis 2027 dürfte es laut Prognose des IQVIA-Instituts im zweistelligen Prozentbereich zunehmen. Der traurige Grund: Von der Diagnose Krebs sind Jahr für Jahr immer mehr Menschen betroffen, weil die Weltbevölkerung älter wird. Das allgemeine Risiko, an Krebs zu erkranken, steigt ab einem Lebensalter von 60 Jahren rapide. Gleichzeitig sind wirksame Medikamente teuer. Großhandelspreise von mehreren hunderttausend Euro für eine Jahresdosis sind keine Seltenheit.

Dieses Umfeld lässt den Einsatz von KI im Onkologie-Bereich als besonders interessant erscheinen. Der medizinische Fortschritt dort findet über eine ganze Palette von Technologien statt – Impfstoffe, Antikörper, Zelltherapien oder Small Molecules. Dabei wird es nie die eine Pille oder das eine Medikament geben, das alle Krebsarten besiegt. Dieser Glaube basiert auf einem Missverständnis. Krebs ist nicht eine einzelne Krankheit, sondern eine Verschiedenheit an Neoplasmen – abnormalem Zellwachstum, auch als Tumor bezeichnet –, die manchmal auf spezifischen Mutationen basiert. Es ist also ein komplexer Kampf, der mit spezifischen Technologien geführt werden muss. KI kann dabei entscheidend helfen.

Gesundheitssektor überzeugt mit Stabilität

Wir sehen ganz allgemein den Gesundheitsmarkt weiterhin als sehr interessant an. Diese Einschätzung basiert auf der bereits erwähnten weltweiten demografischen Entwicklung und dem Potenzial, das die Forschung und die Innovationen bieten, die daraus entstehen. In unsicheren Zeiten bleibt der Sektor relativ risikoarm, da seine Gewinnaussichten nicht besonders stark von makroökonomischen Schwankungen beeinflusst werden. Medikamente und Therapien werden entwickelt und verschrieben, weil sie gebraucht werden und den Patienten helfen. In den vergangenen Jahrzehnten und auch in jüngster Zeit hat sich der Healthcare-Bereich daher besser entwickelt als die breiteren Aktienmärkte, etwa im Vergleich zur Performance des MSCI World Index.

Doch wie sieht es aktuell aus? Unserer Meinung nach sind die Bewertungen im Gesundheitssektor derzeit sehr vernünftig. Wir setzen mit unseren Fonds im Bereich Onkologie und auch Biotechnologie sowohl auf große als auch kleinere Unternehmen. Die großen Pharmaunternehmen bieten oft den Vorteil, dass sie meist über solide Bilanzen verfügen, die kaum durch höhere Finanzierungskosten beeinträchtigt werden. Es gibt jedoch auch junge Unternehmen, die sehr rentable Deals mit etablierten Konzernen abgeschlossen haben. Unseres Erachtens ist dieser Trend wesentlich, um die Arzneimittelforschung zu fördern, die Nachfrage nach neuen Vermögenswerten zu steigern, sowie Fusionen und Akquisitionen beziehungsweise die Konsolidierung der Firmen zu unterstützen.
Das defensive Branchenprofil bedeutet allerdings nicht, dass keine Anlagerisiken bestehen. Einzelne Unternehmen aus dem Gesundheitswesen können sich höchst unbeständig entwickeln. Die Performance an der Börse hängt oftmals in hohem Maße von der Produktpipeline und regelmäßigen Erfolgen in der Forschung und entsprechenden klinischen Studien ab. Anleger dürfen nicht vergessen: Auch wenn die präklinischen Daten vielversprechend aussehen, kommen mehr als 90 Prozent solcher Kandidaten nie auf den Markt – und es erfordert viel Expertise, um jene Unternehmen zu identifizieren, deren Präparate und Technologien letztendlich erfolgreich sein werden.

Um das Wirk- und Einsatzpotenzial sowie das Wettbewerbsumfeld eines neuen Wirkstoffs beurteilen zu können, benötigen Investoren spezifisches Wissen, Erfahrung und Zugang zu Informationen und Daten. Investitionen in einzelne Unternehmen kommen daher sinnvollerweise nur für Anleger infrage, die über dieses Profil verfügen und die bereit sind, viel Zeit in die Analyse klinischer Daten zu investieren. Es ist also auf Einzelebene ein vergleichsweise schwieriger Sektor für die Aktienauswahl, was den Einsatz gemanagter Fondskonzepte sinnvoll macht.

Autor Rudi Van Den Eynde ist Head of Thematic Global Equity Management bei Candriam.

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