Grundfähigkeitsversicherung: Mehr Klarheit in den AVB

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Arndt von Eicken ist Managing Analyst bei der Kölner Rating-Agentur Assekurata

Der Markt für Grundfähigkeitsversicherungen boomt, die Zahl der Tarife und Tarifoptionen legt stetig zu. Das schlägt sich in den AVBs nieder. Mittlerweile arbeiten die Anbieter an verständlicheren Bedingungen, wie eine Analyse der Kölner Rating-Agentur Assekurata zeigt.

Seit geraumer Zeit wird die Grundfähigkeitsversicherung als vermeintlich günstige und einfache Alternative zum Klassiker Berufsunfähigkeitsversicherung angeboten. Der Markt boomt. Damit nimmt auch die Zahl der Tarife und Tarifoptionen immer mehr zu.

Was auf der einen Seite die Auswahl für Vermittler und Kunden erhöht, sorgt auf der anderen Seite für mehr Arbeit. Vielfach finden sich in den allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) keine zureichenden Formulierungen zur Erreichbarkeit des Leistungsversprechens. Erste Gesellschaften versuchen hier entgegenzuwirken.

Leistungsversprechen unzureichend formuliert

Eine Fähigkeit ist allgemein gesagt ein angeborenes oder erworbenes Vermögen, einen Sachverhalt kausal zu beeinflussen. Im Wesentlichen ist jeder Mensch auf die Fähigkeiten Sehen, Hören, Sprechen, Gehen, Denken und Fühlen angewiesen. Mit diesen Fundamentalfähigkeiten sind wir in der Lage, die alltäglichen Dinge des Lebens zu bewältigen.

Marktweit existieren unterschiedliche Ansätze, um die Folgen des (teilweisen) Verlusts von Fähigkeiten abzusichern. Während Mulitrisk-Deckungen beispielsweise auf die Einschränkung der Funktionsfähigkeit bestimmter Organe abzielen, dienen selbständige Grundfähigkeitsversicherungen der finanziellen Absicherung bei Verlust bestimmter Fähigkeiten.

Dabei ist jeder Anbieter frei in der Formulierung seiner AVB, sodass von Police zu Police unterschiedliche Faktoren beziehungsweise Festlegungen darüber entscheiden, ob Antragsteller einen Leistungsanspruch haben.

Viele grundlegende Mißverständnisse

Allerdings existieren am Markt über die Absicherung in der Grundfähigkeitsversicherung noch viele grundlegende Missverständnisse, wie der Glaube, dass eine Grundfähigkeitsversicherung das Einkommen absichert, oder dass mehr Auslöser auch mehr Leistung bedeuten.

Vielmehr dienen selbstständige Grundfähigkeitsversicherungen der finanziellen Absicherung bei Verlust bestimmter Fähigkeiten. Wie gesagt helfen diese, insbesondere Tätigkeiten des täglichen Lebens abzusichern, wie zum Beispiel Heben und Tragen oder Ziehen und Schieben. Dies kommt unter anderem im Alltag und bei Freizeitaktivitäten zum Tragen.

Falls die versicherte Person beispielsweise nicht mehr in der Lage ist den Rasen zu mähen, genauer gesagt den Rasenmäher zu ziehen und zu schieben, zeigt sich der finanzielle Nutzen, wenn dafür ein Gärtner bezahlt werden muss. Dass in der Schnittmengenbetrachtung bei Verlust einer Grundfähigkeit auch die berufliche Tätigkeit betroffen sein kann, dürfte ein weiterer Vorteil für die versicherte Person sein.

Hierbei sollten aber adäquate Rentenhöhen berücksichtigt werden. Kompliziert und komplex wird es, die für den individuellen Beruf benötigten Fertigkeiten zu bestimmen und mit dem Leistungsversprechen der verschiedenen Tarife abzugleichen.

Erhebliche Unterschiede in der Produktausgestaltung

Dahingehend existieren am Markt erhebliche Unterschiede in der Produktausgestaltung. Ob das jeweilige Produkt den Kundennutzen erfüllt oder übertrifft, ist in vielerlei Hinsicht für Interessenten und Vermittler auf Anhieb kaum zu erfassen.

Eine Ausnahme ist hier der Tarif „Plan D – Die 3“ der Dortmunder Lebensversicherung, der durch den Baustein „Die Arbeit“ eine echte Möglichkeit zur Arbeitskraftabsicherung bietet, falls der Versicherte nicht mehr mindestens drei Stunden am Tag arbeiten kann.

Mangelhafte Formulierungen in den AVB

Gerade hinsichtlich der Erreichbarkeit eines Leistungsversprechens in den AVB fehlt es bisher häufig an praxisnahen Beispielen und eindeutigen Formulierungen. Beispielsweise finden sich in den AVB einiger Anbieter folgende Anforderungen zum Segment Greifen und Halten: „Die versicherte Person kann nicht mit der rechten oder der linken Hand oder mit beiden Händen eine Tasse greifen, halten und daraus trinken.“

Hier stellt sich allein schon die Frage, wie schwer beziehungsweise groß die Tasse sein darf. Der Umstand, dass der versicherten Person auch zugemutet werden kann, mit beiden Händen die Tasse zu greifen, erschwert es, den Leistungsauslöser zu erreichen.

Vielen massiv eingeschränkten Personen dürfte es nämlich noch gelingen, durch Vorbeugen des Oberkörpers und der Fixierung der Tasse mit beiden Händen aus der Tasse zu trinken.

Ein weiteres Beispiel aus einem Grundfähigkeitstarif ist folgendes: „Die versicherte Person ist nicht mehr in der Lage, sich aus eigener Kraft zu bücken oder hinzuknien, um den Boden zu berühren, und sich danach wieder aufzurichten.“ Hier wird auf den Verlust von gleich zwei Grundfähigkeiten (Knien und Erheben oder Bücken und Erheben) als Leistungsauslöser abgestellt.

Unklar ist, ob das Knien mit einem Knie oder mit beiden Knien ausgeführt werden soll. Da ein Abstützen nicht erwähnt wird, kann wohl gefolgert werden, dass das Knien oder Bücken und Aufrichten ohne Abstützen gemeint ist. Eindeutig ist dies jedoch nicht. Abweichende Auslegungen in der Leistungsregulierung sind somit vorprogrammiert.

Ein weiteres wichtiges Segment ist das „Ziehen und Schieben“, da es fast den kompletten Bewegungsapparat des menschlichen Körpers betrifft. Hier muss beobachtet werden, wie häufig die Leistungsfälle bei den Anbietern eingereicht werden, da es sich hierbei um eine neue Fähigkeit in den AVB handelt, die aber unter Umständen für bestimmte Zielgruppen, etwa für Pflegepersonal, sehr wichtig sein kann.

Fehlende Erfahrungen in der Leistungsregulierung

Hinzu kommt, dass die Versicherer bisher kaum Erfahrungen in der Regulierung von Leistungsfällen haben. Dadurch besteht für den Anbieter das Risiko, in eine Haftungsfalle zu geraten, und Kunden laufen Gefahr, im Schadenfall leer auszugehen.

Da Grundfähigkeiten auf Beweglichkeit, Ausdauer und Kraft der Hand, der Arme bzw. des Bewegungsapparates fußen, ist eine Differenzierung von Beweglichkeit, Ausdauer und Kraft über Fertigkeiten möglich. Alle Grundfähigkeiten der aktuell im Markt angebotenen Tarife lassen sich auf diese reduzieren, wodurch Dopplungen, Schnittmengen und Redundanzen identifiziert werden können.

Dadurch zeigt sich, dass mehr Auslöser nicht gleich mehr Leistung bedeutet. Vielmehr sind „besondere“ Leistungsauslöser oftmals bereits durch andere Leistungsauslöser innerhalb der AVB abgedeckt. Trotzdem streben viele Versicherer diesbezüglich nach einem Alleinstellungsmerkmal innerhalb der Grundfähigkeit zur Differenzierung zum Wettbewerb.

Einzelne Anbieter verbessern Regelungen

Wo Schatten ist, muss auch Licht sein, sagt man bekanntlich und in der Tat finden einzelne Anbieter den Weg hin zu neuen, klaren Leistungsvoraussetzungen. Beispielsweise hat sich die Nürnberger Versicherung im Zuge der Überarbeitung ihrer Grundfähigkeitsversicherung dazu entschieden, künftig die Anforderungen an das Greifen und Halten wie folgt zu formulieren:

„Die Fähigkeit der versicherten Person, mit einer Hand einen Gegenstand zu greifen und zu halten, ist zumindest an einer ihrer beiden Hände stark beeinträchtigt. Das bedeutet, dass sie mit der linken oder mit der rechten Hand nicht mehr in der Lage ist, einen leichten Alltagsgegenstand (z. B. ein leeres Wasserglas, einen Stift oder einen Kochlöffel) zu greifen und ununterbrochen für fünf Minuten, auch unter Ablage des Unterarms, in der Luft zu halten, ohne dass er ihr aus der Hand fällt.“

Mit dieser Festlegung werden neben der Fingerfertigkeit auch die Kraft und die Ausdauer gewürdigt. Kann der Versicherte demnach zum Beispiel den Stift gar nicht erst greifen, kommt es zu einem Leistungsauslöser, da der Pinzettengriff nicht mehr funktioniert.

Fehlt es an der Ausdauer, den Gegenstand fünf Minuten zu halten, kommt es ebenfalls zum Leistungsauslöser und kann der Versicherte nicht fest genug zufassen, um das Wasserglas zu fassen, fehlt es an der nötigen Kraft und es kommt wiederum zum Leistungsauslöser.


Ein weiterer Lichtblick findet sich in der überarbeiteten KörperSchutzPolice der Allianz. Im Speziellen betrifft dies die neue Formulierung hinsichtlich des Verlustes der Grundfähigkeit Knien und Bücken:

„Die versicherte Person kann sich nicht mehr so weit auf den Boden knien, dass sie mit beiden Knien den Boden berührt, und sich danach wieder aufrichten kann, oder sie kann sich auch mit gebeugten Knien nicht so bücken, dass sie einen leichten Gegenstand (z. B. einen Bleistift) vom Boden aufheben und sich danach wieder aufrichten kann.“

Hierbei wird insbesondere auf die Kombination des Greifens (Fingerfertigkeit) beim Bücken eingegangen. Zudem wird klargestellt, dass die versicherte Person mit beiden Knien beim Knien den Boden berühren und sich selbständig wieder aufrichten können muss.

Die Definition von „mit beiden Knien“ ist aus einem weiteren Grund vorteilhaft aus Kundensicht: Bei der vielfach zu findenden alternativen Formulierung „weder mit dem rechten noch mit dem linken Knie“ darf die versicherte Person es nicht schaffen, sich noch auf einem der beiden Knie abzuknien, sonst führt dies zu einer Ablehnung.

Diese Beispiele zeigen, dass gerade in der Grundfähigkeitsversicherung der Teufel im Detail steckt. Positiv ist jedoch, dass die Bemühungen im Wettbewerb um eindeutigere Bedingungsformulierungen zunehmen.

Arndt von Eicken, Managing-Analyst bei der Kölner Rating-Agentur Assekurata

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