Integriert an die Endkunden? Warum Embedded Insurance noch nicht vollends funktioniert

Stephen Voss, Vertriebs- und Marketingvorstand von Neodigital
Foto: Neodigital
Stephen Voss: „Es kommen, trotz Einschränkungen, gute Zeiten für Embedded Insurance.“

Embedded Insurance ist aktuell ein heißes Eisen in der Assekuranz. Wieder einmal. Im Grunde geht es dabei um das Hinzufügen von Versicherungsdienstleistungen zu einem Konsumprodukt. Das war schon in den 90er Jahren so, als es noch produktakzessorische Versicherung hieß. Von Stephen Voss

Damals wie heute lagen und liegen die Vorteile auf der Hand. Der Kunde kauft ein hochpreisiges Konsumgut, einen Laptop, eine Spielekonsole, ein neues E-Bike und der Verkäufer, der Händler, der Online-Shop spielt just in dem Moment passend zum Produkt den abgestimmten Versicherungsschutz in dem digitalen Verkaufsprozess aus, sozusagen eingebettet, embedded, in den Flow demnach, der optimal auf das zu kaufende Objekt zugeschnitten ist. Deswegen „eingebettet“, weil der Händler an sich ja kein Versicherungsverkäufer ist, sondern dieser Teil „eingebettet“ in den Prozess von einem Dritten, in dem Fall meistens dem Versicherer zugeliefert wird.

Oder leider zutreffender: „Zugeliefert werden sollte“. So nah wie in dem Beispiel, ist kaum ein Versicherer am Kaufprozess. Haben bislang Versicherer mit erheblicher Zeitverzögerung von der neuen Anschaffung erfahren, meist auf Anstupsen des Vertriebs, so wären sie nun in diesem Modell praktisch live dabei und können somit die ersten sein, die den neuen Einkauf versichern, und das ohne Umweg. Die Vorteile liegen auf der Hand: Embedded ist die Einbettung und Integration von Versicherungen in bestehende Prozesse und Produkte.

Ein bestehender Kaufprozess wird um eine sinnvolle Risikoabsicherung ergänzt, beziehungsweise Versicherungsprodukte werden als Dienstleistung an ein bestehendes Produkt integriert. Die Police ist dabei genau auf das Produkt und die individuellen Bedürfnisse der Kunden abgestimmt und in Echtzeit vorhanden. Das Versicherungsunternehmen kooperiert also mit einem Partner, der direkten Zugang zu großer Käuferschaft hat. Weiterer Pluspunkt: In den meisten Bereichen fallen auch die Zwischenhändler weg. Damit ist es erstmals möglich, Versicherungsprodukte in die Wertschöpfungsprozesse von Nicht-Versicherungsunternehmen zu integrieren.

Näher dran am Kunden und seinen Bedürfnissen

Das verkürzt maximal die Verkaufswege und hat den großen Benefit, dass damit eine optimierte (neudeutsch) Customer Journey geschaffen wird. Dabei erhalten die Kunden ihr Produkt und zeitgleich im gleichen (Check-Out) Prozess die passenden Versicherungen dazu und können diese auch genauso bequem über eine Transaktion bezahlen.

Peace-Of-Mind nennt man das, wenn Kunden gleich mit einem Schlag alle ihre Themen erledigen und sich wieder angenehmeren Dingen widmen können. Man kann es auch technisch ausdrücken: Die Erweiterung in den E-Commerce, um optionale Dienstleistungen anzubieten, führt zu einer optimalen Ansprache des Kundenbedürfnisses. Durch spezifische Anpassungen an den jeweiligen Endkonsumenten und das Produkt erhöht sich die Kundenzufriedenheit durch unkomplizierte und zielgerechte Angebote.

Dabei gibt es grob drei Ausprägungen: Linked Embedding: Hier dient Verkaufsplattform als Verkaufskanal für Versicherungen, der Versicherer erscheint als optionaler Partner. Related Embedding: Der Versicherer platziert in diesem Fall das Angebot im Verkaufsprozess des Vertriebspartners. Der Vorteil ist eine einfache Integration eines Versicherungsangebots im Warenkorb, die Versicherung wird automatisch ausgespielt, der Kunde kann diese hinzufügen. Und Bundled Embedding: In diesem Fall ist Versicherung ist im Produkt und im Preis inbegriffen.

Diese letzte Option ist besonders geeignet für die immer mehr im Kommen befindlichen Abo Modelle. Für eine erfolgreiche Umsetzung sprechen demnach die engen Kooperationen mit Partnern, die Zugang zu großer Käuferschaft haben. Diese Partner können kontextrelevante Informationen zur Verfügung stellen und der Versicherer bietet Modulare Services, die eine enge Beziehung zu Endkonsumenten herstellen.

Vorteile für beide Seiten, doch die Umsetzung hakt

Fassen wir zusammen: Der Versicherungsnehmer wird auf Risiken und eine mögliche Lösung im richtigen Moment hingewiesen. Kunden erhalten von ihrem Handelspartner eine bequeme Opt-in Möglichkeit für ein Sekundärangebot, einen Risikotransfer für die Ware, die sie gerade im Begriff sind, zu kaufen. Für den Händler und Hersteller bietet es eine elegante Option, Zusatzerlöse aus Ihrem Kundenzugang zu generieren.

Weitere Optimierungen ergeben sich, wenn viel des eigenen Händler-Online-Wissens über den Kunden in den Versicherungsverkauf einfließt. Für die Versicherer bietet sich die einmalige Chance, zur richtigen Zeit mit dem richtigen Produkt am richtigen Ort zu sein.
Es klingt nach einer schönen neuen Welt; der Markt wird in den kommenden Jahren allein in Europa auf mehrere Milliarden Euro geschätzt; nur warum passiert heute noch nicht sehr viel?

Die Gründe für die noch unzureichende Durchdringung sind vielfältig. Der allereinfachste Grund ist offensichtlich: Für die Versicherer, die mit ihrer eigenen Digitalisierung noch am Anfang stehen, ist es schlicht nicht möglich, hoch agile Produkte in Echtzeit, quasi „on the fly“ an die Hersteller und Händler auszuliefern. Das Versicherungsprodukt muss passgenau auf das jeweilige Produkt im Warenkorb hin zugeschnitten bereitgestellt werden.

Mit einem Einheitspreis und Einheitsdeckung kommt man da nicht weit. Die Händler legen allerhöchsten Wert auf die Conversion, das heißt wie viele von den Kunden, die mit dem Kauf beginnen, schließen ihn dann tatsächlich auch ab. Wer dabei in seinem Check-out im Warenkorb zu viele – leider momentan noch vorgeschriebene notwendige – Fragen stellt oder durch weitere Optionen vielleicht zur Verwirrung bei den Kunden beiträgt fliegt, damit sofort beim Händler wieder heraus.

Wir erinnern uns: Die Händler oder Hersteller wollen primär online natürlich ihr Produkt verkaufen und nur sekundär die Versicherung, auch wenn das total Sinn macht. Denn alles, was die Kunden erstmal vom eigentlichen Kauf abhalten könnte, ist der natürliche Feind der Conversion. Deswegen heißt es auch „Embedded Insurance“; die Versicherungsleistung muss möglichst nahtlos „eingebettet“ sein, sodass es sich für den Kunden genauso natürlich anfühlt, die Versicherung auszuwählen wie zu dem Monitor noch das passende HDMI-Kabel in den Warenkorb zu legen. Jede weitere Ablenkung: Unerwünscht!

Nahtlos, bequem und einfach ist der Schlüssel

Das vorher beschriebene, also das „on the fly“ Ausspielen des passenden Preises birgt noch eine weiter nicht minder große Herausforderung: Performance, also Geschwindigkeit. Der Preis für die Versicherung, etwa für ein teures E-Bike, muss binnen Millisekunden an den Shop punktgenau zurückgespielt werden. Passiert das nicht, leidet die Conversion, weil der Kunde warten muss. Klingt banal; aber das Letzte, was Kunden heute wollen, ist auf eine sich drehende digitale Sanduhr zu starren. Zu schnell ist der Kauf abgebrochen.

Versicherer, die also den Preis erst umständlich aus dem eigenen Kernsystem generieren müssen, um ihn dann über eine externe Schnittstelle an den Onlineabschluss des Händlers oder Herstellers um eine dünne Internetleitung auszuliefern, werden da keine Schnitte im Markt machen. Deswegen sieht man bislang meistens nur einfache Produkte, wie eine Garantieverlängerung.

Denn zu Kaufpreis X für Produkt Y lässt sich noch relativ einfach eine Versicherung Z pauschal berechnen. Bei einem E-Bike mit verschiedenen Risiken wie Preis, Wohnort, mit oder ohne Diebstahlschutz und Co. ist das deutlich komplexer und funktioniert nicht pauschal.

Und zu guter Letzt kommt noch ein weiterer Hinderungsgrund dazu: Die Hersteller oder Händler wollen als Erstes ihr Produkt bei ihren Kunden vertreiben. Gibt es aufgrund von Lieferengpässen erst gar kein Produkt, sinkt das Interesse der Nicht-Versicherungsunternehmen an einer solchen Zusammenarbeit gegen null. Da zeigt sich das altbekannte Dilemma in der Versicherungsbranche: Das Produkt ist wert – und sinnvoll, es muss aber verkauft werden. Kunden müssen es wollen und meistens daran erinnert werden.

Daher gilt auch hier: Der Vertriebsweg muss aktiv werden und das ist, gerade in versicherungsfremden Vertriebswegen, nicht immer gegeben. Dennoch macht es heute, mit den schlanken digitalen Möglichkeiten, die passende eingebettete Anbindung von Versicherungen bieten, beiderseitig für Händler und Kunden, sehr viel Sinn. Es ist schnell, effizient und kundenfreundlich und stärkt die Marke der Händler und damit die Kundenbindung. Der Markt ist da und er wird sich entwickeln. Die Mängel in den globalen Lieferketten oder die aktuelle Inflation werden sich wieder normalisieren, so viel ist sicher. Es kommen, trotz Einschränkungen, gute Zeiten für Embedded Insurance.

Autor Stephen Voss ist Vertriebs- und Marketingvorstand der Neodigital Versicherung AG

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