Corona: Lauterbach-Ministerium bestätigt Booster-Empfehlung bei Übergewicht

Karl Lauterbach im Bundestag
Juergen Nowak / Shutterstock.com
Gesundheitsminister Karl Lauterbach behandelt den Corona-Risikofaktor Übergewicht höchst stiefmütterlich.

Das Gesundheitsministerium von Karl Lauterbach rückt auf Cash.-Anfrage eine Ungereimtheit der Stiko gerade und bestätigt die Empfehlung zum zweiten Booster für Übergewichtige. Fast jeder fünfte Erwachsene unter 60 Jahren ist betroffen.

Cash. hatte in der vergangenen Woche über die schlechte Informationspolitik des Bundesgesundheitsministeriums von Karl Lauterbach (SPD) in Bezug auf die Booster-Impfung für Übergewichtige unter 60 Jahren berichtet und dabei auch auf eine Ungereimtheit im Text der Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) hingewiesen. Auf Cash.-Nachfrage hat das Gesundheitsministerium die Stiko-Empfehlung nun klargestellt und bestätigt.

Es geht darum, dass Übergewichtige laut Stiko ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf einer Corona-Infektion haben. Das gilt für Erwachsene bereits ab einer Übergewichts-Kennzahl („Body Mass Index“, kurz BMI) von 30, die fast ein Fünftel der Deutschen überschreitet. Dazu zählen beispielsweise Menschen, die 1,80 Meter groß sind und mehr als 97 Kilo wiegen oder mit 1,70 Metern über 87 Kilo auf die Waage bringen. Auch übergewichtige Kinder und Jugendliche sind betroffen, für diese definiert die Stiko aber einen anderen Grenzwert.

Relevant für zweiten Booster

Relevant ist dies derzeit auch in Bezug auf eine zweite Auffrischungsimpfung („Booster“). Diese empfiehlt die Stiko generell erst ab einem Alter von 60 Jahren, grundsätzlich aber auch jüngeren Menschen mit Grunderkrankungen, zu denen eben auch entsprechendes Überwicht gehört. Betroffen sind fast zehn Millionen Menschen unter 60.

Auf den Websites des Ministeriums, in den FAQ des Robert Koch Instituts (RKI) und bei weiteren Behörden fehlen jedoch durchweg präzise Informationen dazu, insbesondere zur BMI-Grenze, aber meistens auch generell zum Übergewichts-Risiko. Die umfangreiche Stiko-Empfehlung selbst, auf die allerorten verwiesen und teilweise verlinkt wird, ist indes zum zweiten Booster nicht ganz widerspruchsfrei. Es lässt sich zwar zusammenreimen, wie sie wohl gemeint ist, Cash. hat sich beim Gesundheitsministerium aber nochmals vergewissert.

„Auch Erwachsene ab 18 Jahren mit einem BMI größer als 30″

Nun bestätigt das Ministerium: „Die aktuelle Stiko-Empfehlung zu einer zweiten Auffrischimpfung umfasst auch Erwachsene ab 18 Jahren mit einem Body Mass Index größer als 30“. Weiter schreibt es: „Die auf der Internetseite des RKI veröffentlichte 22. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung führt in Tabelle 3 die Liste der Personen mit besonderer Indikation für eine COVID-19-Impfung und unter Punkt B) explizit Personen im Alter ab 18 Jahren mit Grunderkrankungen auf: Hier werden Stoffwechselerkrankungen, inkl. Adipositas mit Body Mass Index (BMI) > 30 kg/m2 aufgeführt.“

Das trifft zu, beschreibt allerdings auch das Problem: Die Information befindet sich nur dort. Doch das 20-seitige „Epidemiologische Bulletin“ mit der Impf-Empfehlung der Stiko ist eine wissenschaftliche Ausarbeitung, die sich in erster Linie an Fachleute wie die Ärzteschaft richtet und die sonst kaum jemand lesen wird. „Übergewicht“ zum Beispiel kommt darin nicht vor, sondern nur die medizinische Bezeichnung „Adipositas“. Und die Empfehlung für diese Risikogruppe ist nicht ganz eindeutig.

Klarstellung des Ministeriums

So empfiehlt die Stiko zwar im Fließtext „Personen im Alter ab 5 Jahren mit erhöhtem Risiko für schwere Covid-19-Verläufe infolge einer Grunderkrankung“ eine zweite Booster-Impfung, sie stellt in dieser Passage aber keinen Bezug zu ihrer eigenen Tabelle her. Dieser erfolgt nur allgemein einige Seiten zuvor. In Zusammenhang mit dem zweiten Booster ist hingegen aus irgendwelchen Gründen von einer „Analogie zur Indikationsimpfung gegen Influenza“ die Rede und die Stiko listet „z.B.“ unter anderem nur auf „… und andere Stoffwechselerkrankungen“. Der Zusatz „inkl. Adipositas“ aus der Tabelle fehlt hier.

Nun stellt das Gesundheitsministerium in Bezug auf diese Diskrepanz klar: „Im Fließtext werden einige Grunderkrankungen beispielhaft genannt, diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, relevant ist der Verweis auf Tabelle 3.“

Weitere Risikogruppen fallen unter den Tisch

Die Klarstellung des Ministeriums bedeutet allerdings auch: Neben Übergewichtigen fallen weitere Grunderkrankungen aus der Tabelle in der „beispielhaften“ Fließtext-Auflistung der Stiko, die auch das Ministerium auf seiner Website übernommen hat, unter den Tisch. Dazu zählen unter anderem rheumatologische, chronisch-entzündliche Darm- und psychiatrische Erkrankungen. Auch diesen Betroffenen wird also schon ab 18 Jahren ein zweiter Booster empfohlen, sie erfahren es auf den Behörden-Websites aber nicht.

Nun ist bei Menschen mit solchen Erkrankungen anzunehmen, dass die meisten von ihnen sich in regelmäßiger ärztlicher Behandlung befinden und hoffentlich wenigstens dort auf das erhöhte Risiko hingewiesen werden. Anders dürfte es sich bei vielen Übergewichtigen verhalten – jedenfalls jenen, die nicht viel mehr als einen etwas ausgeprägteren Bierbauch mit sich herumschleppen und ansonsten gesund sind.

Sie werden kaum deshalb zum Arzt laufen und auch nach bald drei Jahren Pandemie vielfach nicht ahnen, dass ihr Übergewicht als solches überhaupt eine „Erkrankung“ darstellt und sie laut Stiko ein erhöhtes Corona-Risiko haben. Das betrifft nicht nur die Empfehlung zum zweiten Booster. Auch unter den bisher nicht oder für ihre Altersklasse nicht ausreichend Geimpften mit BMI größer 30 – oder mit einer der anderen vernachlässigten Grunderkrankungen – dürfte das erhöhte Risiko nicht immer bekannt sein.

Vielleicht würde der eine oder die andere die Impf-Entscheidung noch einmal überdenken, wenn sie davon wüssten. Doch dafür ist wegen der fehlenden Informationen auf den Behörden-Websites die Lektüre der sibyllinischen Stiko-Empfehlung erforderlich. Und selbst dann blieben noch Fragezeichen. Wenigstens diese hat das Ministerium nun ausgeräumt.

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