EXTRA Betriebliche Altersversorgung: „Da liegt schon eine Menge brach“

Lassen Sie uns über das Thema Regulierung sprechen. Im Jahr 2016 wurde das Betriebsrentenstärkungsgesetz auf den Weg gebracht, mit dem Ziel, der bAV einen deutlichen Schub zu geben. Würden Sie heute sagen, dass das Gesetz gehalten hat, was es versprochen hat? Oder war das ein Rohrkrepierer?

Baumüller: Wir haben dadurch schon Auftrieb bekommen. Es hat auch allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geholfen, das ganze Thema präsenter zu machen. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass der Gesetzgeber sich da einen größeren Erfolg versprochen hatte, als wir ihn jetzt haben. Es dürfte also noch mal nachgeschliffen werden. Ein aktuelles Beispiel: Wir haben im Januar ein neues Mandat übernommen, einen Mittelständler mit mehr als 500 Mitarbeitern. Die haben, bis wir da waren, noch nie was von der bAV gehört. Und das im Jahr 2024. Es ist immer noch erschreckend, wie lange sich das auswirkt und wie lange das dauert.

Behrens: Wir müssen beim BRSG unterscheiden zwischen dem Sozialpartnermodell auf der einen Seite und der alten bAV auf der anderen Seite. Vom Sozialpartnermodell hat sich der Gesetzgeber mit Sicherheit mehr versprochen. Die Modelle, die es auf dem deutschen Markt gibt, sind ja an einer Hand abzählbar. Die alte bAV hat aber einen gewissen Schub durch das BRSG zum Beispiel durch die steuerliche Erhöhung des Förderrahmens, die Förderung des Niedriglohnsektors mit der Paragraf-100-EstG-Förderung oder dem verpflichtenden Arbeitgeberzuschuss bekommen.

Simon: Das Sozialpartnermodell hat aus unserer Sicht keine entscheidenden Impulse bei der Verbreitung von betrieblicher Altersversorgung gebracht. Der Absatz und Verkauf von Altersvorsorgeverträgen funktioniert immer nur dann, wenn es fachlich gut ausgebildete Finanzberater gibt, die Arbeitgeber aktiv ansprechen und Arbeitnehmer bedarfsgerecht beraten. Nur dann kann die Durchdringung in breiten Teilen der Bevölkerung gelingen. Dann wird die bAV auch zum Erfolgsmodell für alle Beteiligten. Denn die Mitarbeiter wollen und brauchen betriebliche Altersversorgung für eine auskömmliche Altersvorsorge. Das liegt auch daran, dass in der aktuellen Phase mit der hohen Inflation das Vorsorgebudget eines durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmers seit Jahren sinkt. Über den Hebel der betrieblichen Altersversorgung – vor allem wenn er stark arbeitgeberfinanziert ist – kann das größte Problem, zu wenig Geld im Rentenalter zu haben, nahezu gelöst werden.

Andreas Behrens: „Die alte bAV hat einen gewissen Schub durch das BRSG bekommen.“

Was würden Sie sich denn von der jetzigen Bundesregierung in Sachen bAV wünschen?

Harenberg: Das BRSG halten wir für einen wirklich wichtigen Schritt. Es ist die Plattform für die Verbreitung von betrieblicher Altersversorgung. Je attraktiver die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind – sowohl operative Regelungen als auch Fördermechanismen – desto höher wird auch die Durchdringung in den Belegschaften sein. Von daher ist es ganz wichtig, dass wir leistungsfähige Gesetze haben, die helfen, die betriebliche Altersversorgung zu unterstützen und die Attraktivität zu steigern. Ein wichtiger Punkt ist für uns, die Paragraf-100-Förderungen zu dynamisieren und zu erhöhen. Das ist ein ganz wichtiger Förderbaustein für Branchen, die in Deutschland auch für den Zusammenhalt sehr wichtig sind, insbesondere Gesundheit und Pflege. Außerdem wäre es wünschenswert, die Opting-out-Modelle zu vereinfachen. Und vielleicht noch ein Appell: Das Sozialpartnermodell ist ein sozialpolitisch wichtiges Thema, die anderen Zusageformen sollten aber nicht vergessen werden. Im Moment zielt die Diskussion darauf ab, Unternehmen außerhalb von Tarifbindung in ein Sozialpartnermodell einzubeziehen. Das kann man ja alles machen. Je mehr Möglichkeiten, desto besser. Aber das sollte nicht auf Kosten der anderen Zusageformen passieren.

Simon: Ich erhoffe mir nicht so viel von der Politik. Wir Versicherer würden gut daran tun, erstmal selbst das zu tun, was wir in der Hand haben, um das Geschäft zu forcieren. Aber wenn man sich was wünschen könnte, hätte ich auch zwei Anliegen: Zum einen Klarheit in Bezug auf die Garantiehöhe. Und zum anderen eine Art versicherungsvertragliche Lösung für Unterstützungskassen, wenn sie konkludent rückgedeckt sind. Beides könnte uns im Tagesgeschäft helfen.

Künstliche Intelligenz ist seit rund einem Jahr, seit dem Aufkommen von ChatGPT, ein großes Thema. Welche Rolle kann KI im Bereich bAV spielen, sowohl in der Verwaltung als auch in der Beratung? 

Baumüller: Ich denke, dass wir das Thema Beratung sicherlich ein Stück weit mit KI abbilden können. Mit „ein Stück weit“ meine ich, dass wir sicherlich Gesellschaftsgruppen reinbekommen, die affin dafür sind. Wir werden aber nie alle Gesellschaftsgruppen reinbekommen, und es wird selbst in denen, die sich dafür qualifizieren, Menschen geben, die vom Mindset her sagen: „Ich hätte gerne final noch mal mit jemandem gesprochen.“ Dass wir über die Gesellschaft hinweg ein komplett KI-gestütztes bAV-Werk haben, kann ich mir absolut nicht vorstellen. Es gibt einfach Branchen, die kommen in kein Teams-Meeting rein. Dann fahren wir da halt hin. Wir machen viel digital, aber trotzdem kann man nicht alles digital abbilden. In den Branchen, die keinen Rechner haben – Entsorgungsbetriebe, Pflegeheime oder Krankenhäuser – ist es unabdingbar, dass man vor Ort ist. Die werden sich auch über eine KI nicht komplett durchklicken.

Sellner: Ich sehe das ähnlich. Es ist wichtig, dass wir uns digital aufstellen und die verschiedenen Tools anbieten, mit denen sich Kunden eine Erstinformation einholen können. Aber am Ende suchen die Kunden noch mal den persönlichen Kontakt, da der Abschluss einer Versicherung – insbesondere einer bAV – eine wichtige Entscheidung ist. Die Digitalisierung bietet uns eine wichtige Unterstützung, sowohl in der bAV-Beratung als auch in der Verwaltung der Verträge. Da sollte die Digitalisierung noch mehr ausgebaut werden. Aber Menschen, die dahinter stehen und sich insbesondere mit den komplexeren Fällen beschäftigen, die brauchen wir weiterhin. Die können wir nicht ersetzen, auch wenn wir in der Verwaltung schon ein gutes Stück weiter sind, was die Digitalisierung der Prozesse, die Schnelligkeit der Bearbeitung und Dunkelverarbeitung angeht.

Behrens: Aber wir diskutieren jetzt schon wieder, was wir uns als Versicherer vorstellen können. Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Was wollen die Menschen? Wo wollen sie abgeholt werden? Da ist es mir persönlich vollkommen egal, ob die Beratung persönlich vor Ort, oder durch einen Avatar, der durch ein Beratungsprogramm führt, durchgeführt wird. Wir müssen dahin, wo die Menschen sind. Das ist das Wichtige, und da müssen wir uns als Versicherer schlichtweg drauf einstellen. Wir müssen beides unterstützen, egal ob wir mit Maklern oder mit einer eigenen Ausschließlichkeitsorganisation zusammenarbeiten. Die Hauptsache ist doch, dass sich die Menschen beraten lassen. 

Sellner: Das stimmt, man muss alle Wege mitgehen, damit der Arbeitnehmer sich aussuchen kann, wo er sich sicher fühlt. Das ist wichtig.

Pascal Baumüller: „Wir können das Thema Beratung sicherlich ein Stück weit mit KI abbilden.“

Ich würde gerne noch mal nachfragen, Herr Baumüller: Sie haben gerade gesagt, in Teilen könne eine KI durchaus in der Beratung einspringen bzw. Teile davon übernehmen. Welche könnten das sein?

Baumüller: Ich denke, dass der Einstieg über die KI eine Option ist, also dass man eine Hürde wegnimmt. Ich muss das aber gleich wieder einschränken: Klar, die KI beantwortet auch Fragen und lernt ständig dazu. Aber ich glaube nicht, dass das Massengeschäft komplett über eine digitale Strecke kommt, egal ob mit KI oder ohne.

Behrens: Es kommt natürlich auch darauf an, wie der Arbeitgeber aufgestellt ist. Wenn es ein bundesweit tätiges Unternehmen mit verschiedenen Niederlassungen ist und ich als Vermittler überhaupt nicht die Möglichkeit habe, jeden Einzelnen persönlich zu beraten, dann kann eine KI oder eine digital gestützte Beratung mit einem Avatar durchaus hilfreich sein, um Beratung durchzuführen. Das muss man von Einzelfall zu Einzelfall betrachten: Ist es eine Belegschaft, die persönlich beraten werden will? Ist es machbar, persönlich zu beraten? Oder geht es schlicht und ergreifend nicht?

Damit starten wir in die Schlussrunde. Wie wird sich der Markt 2024 entwickeln? 

Simon: Wir sind sehr zuversichtlich für das Jahr 2024. Wir haben unser Produktangebot zum Jahreswechsel noch einmal deutlich verbessert, sodass wir alle Anforderungen, die in der bAV notwendig sind, dauerhaft auf höchstem Niveau darstellen können. Darüber hinaus haben wir unseren Tarif mit der größtmöglichen Flexibilität ausgestattet und alle Prozesse, die für eine erfolgreiche Platzierung von bAV notwendig sind, fest etabliert. Unser Ziel ist es, im ersten Halbjahr um 30 Prozent zu wachsen. Das ist ambitioniert und, wenn man die Zahlen der ersten beiden Monate in 2024 betrachtet, machbar. 

Harenberg: Wir glauben, dass 2024 ähnlich gut wird wie 2023. Wir blicken ja auf Entwicklungen, die langfristig sind. Die Demografie, der Arbeitskräftemangel, wie sich Arbeitgeber positionieren und ihre Attraktivität erhöhen wollen, das wird sicherlich 2024 die gleiche Dynamik haben. Dabei setzen wir weiter auf moderne Investmentprodukte, die die Versorgungsinteressen optimal treffen.

Behrens: Ich glaube, dass die bAV auch 2024 das Zugpferd in Sachen Altersvorsorge sein wird. Ich bin sehr hoffnungsfroh, dass wir ein gutes bAV-Jahr haben werden. Dabei wollen wir unseren Vermittlern eine qualitativ hochwertige Vertriebsunterstützung bieten.

Sellner: Wichtig ist, dass wir eine breite Tarifpalette haben, die für jeden Anspruch etwas zu bieten hat. Die Kunden sind sehr verschieden – der eine möchte mehr Garantien haben, der andere weniger. Das bleibt auch 2024 ein wichtiger Faktor. Ganzheitlich betrachtet wünsche ich mir 2024 weniger Regulatorik, damit der bürokratische Aufwand in der bAV reduziert wird.

Baumüller: Mit Blick auf die Tarife wäre mein Wunsch, dass wir mal zwei Jahre Tarifpause machen. Die Versicherer sollen sich um Digitalisierung und Prozesse kümmern. Wir haben gute Tarife, wir sind alle glücklich damit. Beim Marktausblick bin ich sehr positiv. Ich glaube, dass das Thema Biometrie künftig eine noch größere Rolle spielen wird. Unsere Branche ist stark und wird 2024 noch stärker.

Dieser Artikel ist Teil des EXTRA bAV. Alle Artikel des EXTRA finden Sie hier.

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