EZB im Zwiespalt: Inflation wichtiger als Wirtschaft und Währung

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Robert Greil, Merck Finck

Die Anhebung der EZB-Leitzinsen am Donnerstag um erstmals 75 Basispunkte auf nunmehr 1,25 Prozent für den Hauptrefinanzierungssatz entspricht den Erwartungen der meisten Volkswirte. Der Chefstratege von Merck Finck Robert Greil schätzt die Inflationsbekämpfung für die EZB weiterhin wichtiger ein als die Wirtschaft und die Währung – auch wenn die Erfolge noch auf sich warten lassen dürften.

Die Anhebung der EZB-Leitzinsen am Donnerstag um erstmals 75 Basispunkte auf nunmehr 1,25 Prozent für den Hauptrefinanzierungssatz (und 0,75 Prozent für den Einlagensatz) entspricht den Erwartungen der meisten Volkswirte. Vor Monaten noch schien ein solcher Schritt undenkbar. Heute erscheint er beinahe alternativlos, wenn die EZB ihr primäres Mandat nicht aus dem Auge verlieren will. Allerdings bleiben die von der Notenbank nicht beeinflussbaren Energiepreise der wesentliche Inflationstreiber in der Eurozone.

Letztendlich ist für die EZB die Inflationsbekämpfung wichtiger als die Wirtschaft und die Währung, auch wenn sie beide natürlich im Blick behalten muss. Mit Blick auf die Inflation dürften die Erfolge noch auf sich warten lassen. Aus unserer Sicht wird die Inflation im Herbst und im Winter trotz der beherzteren Leitzinspolitik erst einmal hoch bleiben, bevor ab dem Frühjahr 2023 dann vor allem Basiseffekte die Raten nach und nach spürbar nach unten drücken sollten.

Wie geht es mit den Wechselkursen weiter? Mit der gegenwärtigen EZB-Politik hält der Druck auf den Euro an, insbesondere gegenüber dem weiterhin bärenstarken US-Dollar. Denn letztendlich bleibt – gerade die mittelfristige – Preisstabilität das zentrale Ziel der Notenbank, auch wenn sie oft als „Währungshüter“ bezeichnet wird. Bis Jahresende rechnen wir primär aufgrund der anhaltenden europäischen Energiekrise und der entschlosseneren Zinspolitik der Fed auf Basis einer relativ stabileren Konjunktur in den USA als in Europa mit einem weiteren Rückgang des Euro/Dollar-Kurses von 99 Cent auf 97 Cent. Damit würde der Euro gegenüber dem Greenback in diesem Jahr nicht nur wie bisher um 13 Prozent, sondern um 15 Prozent an Wert verlieren.

Mit Blick auf die Konjunktur nimmt die EZB ebenfalls heftige Nebenwirkungen in Kauf. Mit ihrem aggressiveren Zinskurs belastet die EZB die schwächelnde Konjunktur noch zusätzlich. Zudem macht sie damit auch weitere Firmenpleiten wahrscheinlicher. Wir rechnen auf dieser Basis weiterhin mit einer Rezession – nicht nur in Deutschland, sondern auch im gesamten Euroraum. Daran werden die weiter zu erwartenden Fiskalprogramme der Regierungen wie das dritte Entlastungspaket in Deutschland kaum etwas ändern können. Helfen würde dagegen eine Wiederaufnahme der russischen Gaslieferungen, da sie die Energie- und damit verbundenen Preisrisiken spürbar senken könnten.

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