Rechtsgrundlose Gewinnausschüttungen an gutgläubige Aktienanleger sind grundsätzlich anfechtbar

Foto: Schultze & Braun
Andreas J. Baumert

Anfang Mai 2022 sorgte die Entscheidung des Landgerichts München für Schlagzeilen, die Bilanzen von Wirecard für 2017 und 2018 nachträglich für nichtig zu erklären. Der Insolvenzverwalter kann auf dieser Basis gezahlte Dividenden zurückfordern. Nun erleichtert ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main die Anfechtung von aktienrechtlichen Dividendenzahlungen generell. Gastbeitrag von Rechtsanwalt Prof. Dr. Andreas J. Baumert, Schultze & Braun

Nach dem Aktiengesetz entsteht der Anspruch eines Aktionärs auf die Auszahlung einer Dividende erst durch den Gewinnverwendungsbeschluss. Wenn – und darum ging es im Fall vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (Urteil vom 25. Mai 2022; 4 U 310/19) – die maßgeblichen Gewinnverwendungsbeschlüsse nichtig waren, sind die Dividendenausschüttungen rechtsgrundlos. Nach Paragraf 134 der Insolvenzordnung kann ein Insolvenzverwalter solche Leistungen anfechten, wenn sie nicht durch die Schuldnerin (das insolvente Unternehmen) auf anderem Weg – etwa über das Aktiengesetz – rückforderbar sind, also ein endgültiger Vermögensverlust erfolgt und das Geld für die Befriedigung der Gläubiger nicht (mehr) zur Verfügung steht.

Falsche und nichtige Jahresabschlüsse

Im konkreten Fall vor dem OLG forderte der Insolvenzverwalter einer Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) auf Basis von Paragraf 134 der Insolvenzordnung Dividendenausschüttungen von einer Kommanditaktionärin zurück. Die Aktionärin hatte die Dividenden über mehrere Geschäftsjahre hinweg auf Basis von Gewinnverwendungsbeschlüssen ausgezahlt bekommen. Nachdem das Insolvenzverfahren über die KGaA eröffnet worden war, stellten sich die Jahresabschlüsse, auf deren Basis die Gewinnverwendungsbeschlüsse erfolgten, jedoch als falsch und damit nichtig heraus. Anstelle hoher Gewinne hatte die Gesellschaft Jahresfehlbeträge und Bilanzverluste in Höhe mehrerer Millionen erwirtschaftet.

Für den Insolvenzverwalter von Vorteil

Wusste ein Aktionär oder hätte er wissen können, dass er zum Bezug einer Dividende nicht berechtigt war, hat er bösgläubig eine verbotene Leistung erhalten. Das ist etwa der Fall, wenn der Aktionär von illegalen Machenschaften der Gesellschaft weiß, von der er die Dividende erhält. In einem solchen Fall haften Aktionäre bzw. rechtlich gleichlaufend Kommanditaktionäre der Schuldnerin nach Paragraf 62 Absatz 1 Satz 1 und 2 des Aktiengesetzes auf Rückzahlung. Die Aktionäre waren jedoch gutgläubig, damit war nicht nur eine Rückforderungsanspruch nach Paragraf 62 Absatz 1 Satz 2 ausgeschlossen, sondern auch eine Rückforderung nach dem Bereicherungsrecht.

Der Ausschluss einer Rückforderung der Dividenden nach dem Aktiengesetz und dem Bereicherungsrecht bei Gutgläubigkeit des Aktionärs ist für den Insolvenzverwalter für die Geltendmachung eines Insolvenzanfechtungsanspruchs dagegen von Vorteil. Bevor er die Dividenden auf Basis von Paragraf 134 der Insolvenzordnung zurückfordert, muss er nicht erst prüfen, ob der bereicherungsrechtliche Rückzahlungsanspruch der Gesellschaft – also der Aktien- oder der Kommanditgesellschaft – nach Paragraf 814 des Bürgerlichen Gesetzbuches wegen bewusster Zahlung auf eine Nichtschuld oder wegen Sittenverstoß nach Paragraf 817 des Bürgerlichen Gesetzbuches ebenfalls ausgeschlossen ist. Grund dafür ist, dass in einem solchen Fall eine bewusste Zahlung auf eine Nichtschuld vorliegt und somit nach der Rechtsprechung Unentgeltlichkeit im Sinne das Paragraf 134 der Insolvenzordnung vorliegt; die Dividendenausschüttung also anfechtbar ist.

Generell anfechtbar

Die Wirkung der Entscheidung des OLG Frankfurt am Main ist somit aufgrund der aktienrechtlichen Bestimmungen des Paragraf 62 Absatz 1 Satz 2 des Aktiengesetzes weitreichend, die zwar einen bereicherungsrechtlichen Anspruch sperren, nicht aber den Insolvenzanfechtungsanspruch nach Paragraf 134 der Insolvenzordnung.

Der Bundesgerichtshof hatte – allerdings etwas unklar in der Darstellung – bereits in seiner Entscheidung von Anfang Dezember 2021 zu Insolvenzanfechtungsansprüchen in Schneeballsystemen (BGH Urteil vom 2. Dezember 2021 – IX 112/20) klargestellt, bei der es sich ebenfalls um eine Dividendenauszahlung durch eine Aktiengesellschaft handelte, dass Paragraf 62 Absatz 1 Satz 2 des Aktiengesetzes Insolvenzanfechtungsansprüche nicht sperrt. Laut dieser Entscheidung stehen nämlich einer Anfechtung nach Paragraf 134 der Insolvenzordnung generell weder Paragraf 62 Absatz 1 Satz 2 des Aktiengesetzes, noch die entsprechenden Paragraphen des Handelsgesetzbuchs und des GmbH-Gesetzes entgegen, was das OLG nicht hinreichend berücksichtig hat. Die Revision hätte somit nicht zugelassen werden müssen.

Der Entscheidung des OLG kommt daher bereits jetzt – also bevor der BGH über die vom OLG zugelassene Revision entschieden hat – eine Leitfunktion zu, und sie ist damit auch in Fällen wie etwa bei Wirecard anwendbar.

Andreas J. Baumert ist Partner bei Schultze & Braun. Ein Spezialgebiet des Fachanwalts für Handels- und Gesellschaftsrecht ist die Geltendmachung sowie die Abwehr von Insolvenzanfechtungen.

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