Whistleblower-Gesetz und die Folgen für Unternehmen: „Die Bußgelder dürften nicht zu knapp sein“

Foto: Hiscox
Stefan Sievers, Leiter des Bereich Spezialrisiken für die DACH-Region bei Hiscox

Das Hinweisgeberschutzgesetz wurde vom Bundestag und Bundesrat verabschiedet. Über das Gesetz, die Folgen für Unternehmen und Möglichkeiten einer Absicherung gegen daraus resultierende Risiken sprach Cash. mit Stefan Sievers, Leiter des Bereich Spezialrisiken für die DACH-Region bei Hiscox.

Worum geht es bei dem Hinweisgeberschutzgesetz?
Sievers: Bei dem Hinweisgeberschutz-Gesetz handelt es sich um eine EU-Vorgabe, die von Deutschland bereits zum 17. Dezember 2021 hätte umgesetzt werden müssen. Wir sind also etwas spät dran. Im Kern geht es um drei Dinge: So müssen Whistleblower in Unternehmen besonders geschützt und dürfen keine Repressalien ausgesetzt werden. Im Grunde ist es ein erweiterter Kündigungsschutz. Zweitens müssen Unternehmen für ein entsprechendes Meldesystem im Unternehmen sorgen. Sie müssen Mitarbeiter in die Lage versetzen, entsprechende Hinweise abzugeben. Und drittens: Sie müssen den Hinweisen nachgehen und bei Bedarf entsprechende Ermittlungen einleiten und den Hinweisgeber nach Beendigung der Ermittlungen über das Ergebnis informieren. Tun sie es nicht, sind Bußgelder vorgesehen. Die Höhe der möglichen Strafzahlungen steht aktuell zwar noch nicht fest. Aber die dürften nicht zu knapp sein.

Von welchen Verfehlungen sprechen wir hier?
Sievers: Das können die unterschiedlichsten Themen sein, die in den Bereich einer Compliance-Abteilung fallen. Dazu gehört zum Beispiel die Veruntreuung von Geldern. Das können aber auch Bestechungsgelder sein, die jemand annimmt, um Aufträge wohlwollend an einen bestimmten Dienstleister zu verteilen oder Dritte besticht, um Aufträge zu erhalten. Es geht halt um Korruption im eigenen Unternehmen.

Welche Unternehmen fallen unter das geplante Gesetz und wissen die Verantwortlichen, was auf sie zukommt?
Sievers: Es wird alle Unternehmen ab 50 Mitarbeitern betreffen. Der aktuelle Gesetzesentwurf sieht vor, dass in einem ersten Schritt Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden einen Monat nach Inkrafttreten Zeit haben, das umzusetzen. In einem zweiten Schritt ab Dezember dieses Jahres fallen auch Unternehmen ab 50 Mitarbeitenden darunter. Wobei man sagen muss, dass in Großkonzernen ein entsprechendes Meldesystem durchaus Praxis ist, Stichwort Compliance-Abteilung. Für den Klein- und Mittelstand hingegen ist es sicherlich neu. Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Ich glaube nicht. Denn die rund 90.000 Unternehmen, die darunterfallen, erhalten ja vom Gesetzgeber kein Rundschreiben zum neuen Gesetz. Wenn sie es also nicht vom eigenen Rechtsanwalt oder Steuerberater oder den Medien erfahren, stehen sie im Zweifelsfall ohne weitere Informationen da

Was ist mit den Kleinst-Firmen mit sechs, zehn oder 15 Mitarbeitern?
Sievers: Kleinstunternehmen will der Gesetzgeber die Kosten und den Aufwand nicht zumuten. 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist die magische Grenze, ab der ein Unternehmen Vorkehrungen treffen muss. Dennoch: Nur weil ich 49 Mitarbeiter habe, heißt es ja nicht, dass ich nichts gegen Korruption im Unternehmen unternehmen sollte.

Vor dem Hintergrund des Gesetzes haben sie im Januar eine Compliance-Versicherung auf den Markt gebracht. Was steckt dahinter?
Sievers: Zum einen haben wir eine Partnerschaft mit Legal Tegrity. Das Unternehmen stellt den Kunden ein Meldesystem zur Verfügung. Hierbei handelt es sich um eine Serviceleistung, die nichts mit der Versicherung zu tun hat. Aber ohne Meldesysteme funktioniert diese Deckung nicht so gut, weil Hinweise nicht gemeldet werden können. Der zweite Teil ist eine Art Assistance-Versicherung: Damit nehmen wir dem Kunden die Ermittlung in einem solchen Fall ab. Um beim Bestechungsbeispiel zu bleiben: Ein Hinweisgeber weist darauf hin, dass ein Mitarbeiter Bestechungsgelder entgegennimmt. In dem Fall kann der Kunde die Deckung auslösen und wir stellen ein Team unseres Dienstleisters Control Risks zur Verfügung, welches die Ermittlungen vor Ort durchführt. Also Befragungen, Überprüfen von Gesprächsverläufen, Nachvollziehen von Geldflüssen – was immer erforderlich ist. Der Service geht vom Krisenmanagement über Forensik bis hin zu Ermittlungen.

Heute ist es so, dass selbst große Konzerne nicht die internen Ressourcen haben, solche Ermittlungen durchzuführen. Sie holen sich KPMG, PwC oder große Anwaltskanzleien an Bord. Für KMU ist es hingegen weitaus schwieriger, solche Partner zu finden. Am Ende der Ermittlungen erhält der Kunde einen Bericht mit entsprechenden Erkenntnissen und Handlungsempfehlungen. Was er daraus macht, muss das Unternehmen selbst entscheiden. Wir zahlen die Kosten des Dienstleisters für bis zu 60 Kalendertage. Das ist die Leistung. Und sie ist nicht nur auf Whistleblower festgelegt. Sie greift auch, wenn die Geschäftsleitung selbst Verfehlungen feststellt oder einen Korruptionsverdacht hat, weil etwa Medien darüber berichten.

Wie relevant ist das Thema Korruption eigentlich hierzulande?
Sievers: Es gibt eine Statistik des Bundeskriminalamtes von 2021. Demnach gab es 51.266 Fälle der Wirtschaftskriminalität. Eine Steigerung von 4,2 Prozent gegenüber 2020. Der Zusammenhang zwischen der Versicherung und dem Hinweisgeberschutzgesetz kommt dadurch, dass 36 Prozent dieser Fälle durch interne Hinweise, also von Mitarbeitenden, aufgedeckt wurden. Das Ziel des Gesetzes ist, Korruption frühzeitig zu erkennen und zu verhindern.

Das Interview führte Cash.-Redakteur Jörg Droste

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