Lesen ist Anlegerpflicht

Selbst wer gleichsam „stumm“ den Prospekt überreichte, konnte damit seinen – jedenfalls rechtlichen – Informationspflichten genügen, mochte eine solche Vorgehensweise auch im Regelfall nicht unbedingt der vertriebliche Königsweg sein. Ob der Anleger dann tatsächlich die ihm zugänglich gemachten Dokumente las – was in der Praxis wohl eher die Ausnahme ist –, blieb sein Risiko.

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Schon deshalb war auch in der Vergangenheit der stereotype Vortrag, man habe Prospekt und sonstige Unterlagen nicht gelesen und auch nicht lesen müssen, sondern auf die vorrangigen mündlichen Empfehlungen des jetzigen Beklagten vertrauen dürfen, gefährlich.

Übersehen wurde oft, dass diese besondere Rechtsprechung nur für die Fälle galt, in denen – ausnahmsweise – durch Zeugenaussagen o.ä. feststand, dass mündlich vom Prospekt abweichende oder diesen abschwächende Angaben zur Anlage gemacht worden waren.

Nachweis des geschriebenen Wortes

War dies nicht der Fall, blieb es statt beim Vorrang des gesprochenen Wortes bei dem „Nachweis des geschriebenen Wortes“ durch die rechtzeitige Prospektübergabe, belegt z.B. durch eine gesonderte Empfangsbestätigung oder im Beratungsprotoll. Trotzdem blieb die Rechtsprechung zunächst sehr zurückhaltend, auch in Zweifelsfällen vom Anleger die konkrete Lektüre der ihm übergebenen Unterlagen zu fordern oder jedenfalls die kenntnisabhängige Verjährung von drei Jahren ab Beginn der Übergabe entsprechender schriftlicher Informationen beginnen zu lassen.

Die Instanzgerichte erkennen aber in jüngster Zeit mehr und mehr an, dass mit den gesteigerten Pflichten im Hinblick auf die Dokumentation durch den Vertrieb auch erhöhte Anforderungen an die Pflichten des Anlegers in eigener Sache, juristisch als Obliegenheiten bezeichnet, einhergehen.

So hat z.B. das Landgericht Nürnberg- Fürth in einem Urteil vom 28. November 2014 (Az. 10 O 6171/14) eine sehr feinsinnige Unterscheidung aufgestellt. Es stellt nämlich fest, dass grundsätzlich durchaus eine Obliegenheit bestehen könne, einer Diskrepanz zwischen den Risikohinweisen im Prospekt und anderweitigen mündlichen Erklärungen des Beraters nachzugehen.

Seite vier: Lesepflicht für den Anleger

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