Dirk Müller: „Für Lindner wäre es sinnvoll, auf Neuwahlen zu setzen“

Welche der beiden Koalitionspartner der Union wird wahrscheinlich das größere Mitspracherecht haben?

Man muss erst sehen, ob es überhaupt zu einer Koalition wie Jamaika kommt. Es gibt große Unterschiede zwischen CSU und Grünen, aber auch zwischen FDP und Grünen. Hier wächst zusammen, was kaum zusammen passt. Man muss abwarten, ob es nicht am Ende doch zu Neuwahlen kommt.

Es kann auch für den Bundesvorsitzenden der FDP Christian Lindner durchaus sinnvoll sein, auf Neuwahlen zu setzen und die Koalitionsverhandlungen zwar zu führen, aber am Ende in die Leere laufen zu lassen. Ich bin mir noch gar nicht sicher, ob Jamaika tatsächlich startet, da warten wir einfach mal ab, was passiert.

Wenn man davon ausgeht, dass die Jamaika-Koalition zustande kommt, sich die Koalitionspartner aber schlecht einigen können, würde das die AfD stärken?

Ich glaube eher nein. Ich glaube der AfD hat die Aktion von Frauke Petry, auszusteigen, sehr sehr geschadet. Viele Wähler waren reine Protestwähler, die davon ausgegangen sind, dass die Partei rechter dargestellt wird, als sie ist und sich die Liberalen oder Liberal-Konservativen durchsetzen werden.

Diese Wähler merken jetzt aber, dass sogar die Führungsspitze die AfD verlässt, weil ihr die restlichen Mitglieder zu extrem sind. Und eine neue Partei ist noch lange nicht in Sicht. Von daher glaube ich, dass die AfD massiv verlieren würde bei den nächsten Wahlen, was Parteien wie der FDP helfen kann, die sich als Alternative zur Alternativen darstellen können.

Lindner könnte mit Stolz in die Koalitionsverhandlungen gehen, eine Obergrenze für Flüchtlinge fordern und dann damit drohen, in die Opposition zu gehen, wenn er seine Forderungen nicht umsetzen kann. Bei Neuwahlen würde er vielleicht von neun auf 14 Prozent kommen und es könnte am Ende für Schwarz-Gelb reichen.

Was bedeutet das Wahlergebnis für die Zukunft der EU?

Für die EU wird es interessant. Wir sehen, dass mit der Blockade in Deutschland, die wir jetzt bis zu einer Regierungsbildung haben, Frankreich mit Emmanuel Macron aus heiterem Himmel zur Lokomotive Europas wird. Er ist mit einem zweistündigen Paket vorgeprescht, das die EU ganz neu denkt. Das fand ich ausgesprochen spannend.

Er stellt als einer der ersten französischen Präsidenten Europa vor die Interessen Frankreichs. Was sich auch dadurch ausgedrückt hat, dass er nach seinem Wahlsieg auf der Wahlfeier zuerst die europäische und dann die französische Hymne hat spielen lassen.

Damit bricht er mit vielen Traditionen, und hat entsprechende Gegenwehr. Wenn ihm jetzt auf deutscher Seite ein ähnlicher Politiker gegenüber stünde, der das ähnlich handhabt, dann könnte Europa einen Riesenschritt nach vorne machen, natürlich zum Entsetzen vieler, die heute ihre Pfründe schwinden sehen.

Aber im Augenblick sehen wir dass Deutschland, das die letzten Jahre so in der Vorreiterrolle war, plötzlich als Bremser dasteht, weil es nicht handlungsfähig ist. Wenn Macron einen Gegenpart in Deutschland bekommt, der seine Ideen mitgeht, könnte die Achse Paris-Berlin, wenn beide ihre Interessen hinter Europa stellen, eine ganz neue Dynamik entwickeln.

Interview: Katharina Lamster

Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

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