„Klimawandel“ am Rentenmarkt oder warum die Renditen nicht steigen

Robert Halver
Foto: Baader Bank
Robert Halver, Baader Bank

Früher bestimmten Konjunktur und Preisentwicklung den Lauf an den Finanzmärkten wie die Jahreszeiten das Wetter. Doch trotz deutlicher Wachstums- und Inflationsraten bleibt aktuell der typisch starke Anstieg der Anleiherenditen aus. Was sind die Gründe für den „Klimawandel“ am Rentenmarkt? Die Halver-Kolumne

Beispiellos hohe Staatsausgaben haben die Weltwirtschaft in den Vor-Corona-Status versetzt. Doch arbeiten sich die Nachholeffekte zunehmend ab. Und vor allem Europa legt dem Nach-Corona- Wirtschaftswachstum mit Innovationsstau dickste Wackersteine in den Weg. Ohnehin könnten weitere Corona-Varianten die Konjunktur zumindest psychologisch beeinträchtigen.

Wenn Vorsicht die Mutter der Porzellankiste ist, dann ist EZB-Chefin Christine Lagarde die Mutter des europäischen Geschirrschranks. Sie packt die Konjunktur mit zinsgünstigster Liquiditätsschwemme in Watte. Auch vor Geldentwertung schreckt sie dabei nicht zurück. Denn dann lohnt es sich nicht zu sparen und das Geld – so die Hoffnung – kommt der Wirtschaft zugute. Das gilt noch mehr, wenn derzeit hohe Inflationsraten die Anlagezinsen förmlich auffressen.

Für Notenbanken hat Inflation keinen Nachgeschmack mehr

Eigentlich haben die Notenbanken ja die Aufgabe, Inflation zu bekämpfen. Und mit Blick z.B. auf deutsche Großhandelspreise, die gegenüber Vorjahr so stark gestiegen sind wie seit 40 Jahren nicht mehr oder eine US-Verbraucherinflation, die selbst für amerikanische Verhältnisse unverhältnismäßig ist, müssten die Inflationssirenen theoretisch 24 Stunden am Tag schrillen.

Praktisch erzählt die Geldpolitik jedoch die Geschichte von der nur vorübergehenden, eben nicht nachhaltigen Preisbeschleunigung. Es war zwar einmal ein z.B. hoher Ölpreis, der setzte früher immer eine berühmt-berüchtigte Preis-Lohn-Preis-Spirale in Gang. Zur Kaufkrafterhaltung erstritten Gewerkschaften damals Lohnsteigerungen, die die Unternehmen an ihre Kunden weitergaben.

Aber aktuell lassen die Gebrüder Grimm-Notenbanken die Inflations-Geschichte glücklich enden. In unserer globalen Welt mit wettbewerbsstarken Standorten und der Konkurrenz von Industrierobotern gegenüber Arbeitskraft seien nicht mehr Lohnzuwächse, sondern Job-Erhalt das höchste Gut. Ohnehin wären die Opec-Länder nicht mehr der starke Tiger. Klare Preissteigerungen würden den Strukturwandel hin zu alternativen Energien – und auch zum Fracking – noch beschleunigen. Sie sägten am Ast, auf dem sie sitzen.

Zwar gäbe es Lieferengpässe bei kritischen Gütern. Doch würden sich auch bei Halbleitern Angebotsdefizit und Nachfrageüberschuss früher oder später ausgleichen. Wo immer es etwas zu verdienen gäbe, wo das Geld also auf der Straße läge, werde sich immer jemand bücken.

Was für ein Happy End. Inflation zunächst ja, aber sie fällt auch wieder. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann lebt die EZB auch noch morgen restriktionslos.

Was interessiert uns das Inflations-Geschwätz von gestern?

Nicht zuletzt, um der lästigen Inflationsdiskussion und einem so begründeten Handlungsdruck zu entkommen, hat die EZB ein neues symmetrisches Preisziel von zwei Prozent beschlossen. Wenn die Inflation in der Eurozone in den letzten Jahren nur selten und dann nur knapp oberhalb von zwei Prozent lag, meistens deutlich darunter, kann sie auch längere Zeit mal darüber ansteigen.

Das klingt wissenschaftlich, nach ausgleichender Gerechtigkeit, hat es aber bei genauerem Hinsehen faustdick hinter den Ohren: Wie lang ist denn längere Zeit und um wie viel darf die Inflation überschießen? Frei nach James Bond ist dies die ewige Licence to Ease.

Überhaupt unterdrückt die amtliche Inflation den geldpolitischen Handlungsdruck. Die europäische Inflationsberechnung hat eine Knautschzone. Wer regelmäßig Geld für alltägliche Güter und Dienstleistungen ausgibt, weiß, dass die tatsächliche mit der offiziellen Inflation so wenig zu tun hat wie Vollmilchschokolade mit einer Diät. Und dabei hat der Euro seit Einführung bereits nach offizieller Preisentwicklung ca. 30 Prozent seiner Kaufkraft verloren. 

Notenbanken sind zu Vollstreckern des Staats geworden

Mit dieser Inflations-Verharmlosung verschaffen sich Fed, EZB & Co. alibitäre Freiräume, um neue Sonderaufgaben zu erfüllen. Ihre fortgesetzte Niedrigzinspolitik kombiniert mit einer renditedrückenden Liquiditätsschwemme wird weiter jede Schuldenkrise verhindern, die die Finanzwelt heute im Gegensatz zu 2008 nicht mehr verschonen würde. Jede Krise kommt an die Kette wie ein bissiger Hund.

Auch geht es um den neuen Corpsgeist in der europäischen Familie, der mit Geldgeschenken aufrechterhalten wird. Offiziell werden diese Zuwendungen zwar von den großen europäischen Ländern wie Deutschland finanziert. Doch am Ende bezahlt die EZB den Schuldendeckel durch Aufkauf der nationalen Staatspapiere. Im Badezimmer nennt man so etwas Durchlauferhitzer.  

Und wenn sich die EZB schon nützlich macht, warum sollte sie ihre Gebertalente nicht optimieren? Tatsächlich findet nicht nur in Amerika, sondern auch in Europa ein Tabubruch statt. Die Trennung von Regierung und Notenbank wird aufgehoben. Zeigte die EZB als Stabilitätsburg schon unter Mario Draghi gewaltige Risse, wird sie unter Christine Lagarde sogar bis zur Grasnarbe geschliffen. Mit Verlaub, wenn Amerika von der US-Notenbank auf Vordermann gebracht wird, ist es dann aus Wettbewerbsgründen nicht nur fair, wenn auch die EZB zum staatlichen Erfüllungsgehilfen wird?

Und so geht die EZB in die Vollen. Sie hat ihr Herz für Klimaschutz entdeckt. Was für ein Killer-Alibi für noch mehr und längere geldpolitische Freikörperkultur. Warum nicht einfach das Pandemie- in Umwelt-Notfallaufkaufprogramm umbenennen und so der zügellosen Geldpolitik ein neues Deckmäntelchen verleihen?

Ja, Klimaschutz ist eine bedeutende Aufgabe. Aber es ist nicht die Aufgabe der EZB, konkrete Wirtschaftspolitik zu betreiben oder staatliche Ziele zu erfüllen. Es ist zu befürchten, dass die gute EZB auch in Zukunft gute Zwecke findet. Und der Zweck heiligt die Mittel. Oder sollte man – wie in der Politik üblich – von alternativlos sprechen?

Das Rendite-Tief kommt geldpolitisch nicht mehr hoch

Früher waren Anleihen die sensitivsten Anlageklassen überhaupt. Lief die Konjunktur wie geschmiert, stieg die Inflation oder zeigte Instabilität nur ein bisschen ihre hässliche Fratze, stiegen die Risikoaufschläge bonitäts- und marktwirtschaftlich völlig berechtigt an. Heute haben wir geldpolitische Planwirtschaft: Es kann nicht sein, was nicht sein darf.   

Endlich haben die Südländer die EZB dort, wo man sie immer haben wollte, raus aus der germanischen Stabilitätsecke. Die Gerichtsbarkeit in der EU hat offenbar nichts dagegen, wenn auch noch die letzten Stabilitätshüllen fallen. Auch Deutschland, das mittlerweile ebenso bis Oberkante Unterlippe verschuldet ist, hat die Vorzüge niedriger, ja negativer Renditen für Staatsanleihen lieben gelernt. Warum hartes Stabilitäts-Brot kauen, wenn es auch Zuckerplätzchen sein können?

Jetzt wissen wir, warum die Renditen am Anleihemarkt nicht mehr wetterfühlig sind, nicht mehr steigen. Der Klimawandel am Rentenmarkt ist von der Geldpolitik gemacht und meiner Meinung nach unumkehrbar.

Zinssparen ist zum Masochismus geworden. Aber zum Glück gibt es ja Aktien.

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator. Er ist aus Funk und Fernsehen bekannt und schreibt regelmäßig für Cash.

Weitere Artikel
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments