Renteneintritt: Offensive für mehr Flexibilität

Überdies belegen mehrere Studien, dass berufstätige Rentner zufriedener sind und viele Menschen auch gerne länger arbeiten würden, wenn sie die Gelegenheit dazu bekämen. Man sollte ihnen mit flexiblen Arbeitszeiten und altersgerechten Arbeitsbedingungen entgegenkommen.

Leider halten viele Unternehmungen an ihren starren, mit den Gewerkschaften oft mühsam verhandelten Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen fest. Der Strukturkonservativismus der Gewerkschaften erklärt sich aus der Angst vor dem Vorwurf, die Älteren würden Jüngeren die Arbeitsplätze wegnehmen. Individuelle Erwartungen und Wünsche der Älteren spielen keine Rolle.

Schwarz-rote Rolle rückwärts

Statt mehr Flexibilität bei der Rente zu einem zentralen Thema zu machen, probt die neue schwarz-rote Regierungskoalition in der Altersversorgung die Rolle rückwärts. Dem Vernehmen nach wird Bundesarbeitsministerin Nahles auf der Klausur der Bundesregierung Ende Januar ein umfassendes Rentenpaket vorlegen, das verbesserte Mütterrenten, die abschlagfreie Rente ab 63 nach 45 Beitragsjahren und aufgestockte Renten für Erwerbsgeminderte vorsieht.

Das macht Mehrausgaben von 4,4 Milliarden Euro aus, die 2015 auf neun Milliarden Euro jährlich steigen und 2030 elf Milliarden Euro im Jahr betragen. Der Zuschuss aus Steuergeldern an die Rentenkasse soll erst ab 2019 steigen, bis dahin sollen die Mehrausgaben aus den Rücklagen der Rentenversicherung und durch den Verzicht auf Beitragssenkungen bezahlt werden.

Der Beitragssatz zur Rentenversicherung soll vorerst also bei 18,9 Prozent bleiben, 2019 aber auf 19,7 Prozent ansteigen. Hatte der Rentenversicherungsbericht vom November 2013 noch ein voraussichtliches Rentenniveau von 43,7 Prozent prognostiziert, ist jetzt nur noch von 43,7 Prozent die Rede.

Zentrale Reformbaustelle

Alle diese Zahlen dokumentieren den geradezu widersinnigen Abschied von der einst von rot-grün in der Agenda 2010 durchgesetzten Rente mit 67 und den weiteren sozialen Wohltaten. Der neue Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium, Jörg Asmussen, schneidet sich mit den im Koalitionsvertrag vereinbarten Reformvorschlägen die Nase aus dem Gesicht.

Noch vor wenigen Wochen hatte er als Direktor der Europäischen Zentralbank erklärt, Deutschland riskiere ohne weitere Reformen wieder der kranke Mann Europas zu werden. Die Rente sei dabei eine zentrale Reformbaustelle.

Kritisch sieht auch die OECD die Politik der neuen Bundesregierung bei der Altersversorgung. Dort wird darauf verwiesen, dass selbst ein Renteneintritt mit 67 noch keine ausreichende Finanzierungsbasis biete, außerdem leide Deutschlands Glaubwürdigkeit, wenn man südeuropäische Länder zu harten Renten reformen dränge, selbst aber zu alter Bequemlichkeit zurückkehre.

Ex-Arbeitsminister Müntefering ist über die „Vorteilsgebung für eine kleine Gruppe“ unglücklich und rät seinen Genossen zur Umkehr.

Rentenpolitik als Minenfeld

Der Mainzer Politologie-Professor Jürgen Falter dürfte in der düsteren Vorahnung, die Rentenpolitik werde zum Minenfeld, bestätigt werden. Unbezahlbare Wohltaten, keine überzeugenden Vorschläge zur Stärkung der privaten Vorsorge und starres Festhalten an bestehenden Strukturen kennzeichnen die gefährliche Linie der Großen Koalition.

Dabei würde eine Offensive zur Flexibilisierung des Renteneintritts, die Mobilisierung eines Runden Tisches von Arbeitgebern und Gewerkschaften zu diesem Thema, gar nichts kosten. Lasst Gaucks Worten mit Verspätung also Taten folgen.

Autor Prof. Dieter Weirich ist neben Klaus Morgenstern Sprecher des Deutschen Instituts für Altersvorsorge in Berlin.

1 2Startseite
Weitere Artikel
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments