Der Preis des Friedens in der Eurozone

Die Halver-Kolumne: Ist es Ihnen auch schon aufgefallen? Die Krise in Euroland beherrscht nicht mehr die Schlagzeilen von Zeitungen, die Aufmacher von Nachrichtensendungen oder die vielen Talkshows. Und tatsächlich haben auch die Euro-Politiker ihren Beziehungsstress beigelegt.

Noch auf dem Krawall-Euro-Gipfel Ende Juni herrschte – diplomatisch ausgedrückt – Disharmonie unter den Regierungschefs. Ich erinnere mich an ein Gipfelfoto, auf dem eine sich unbeobachtet glaubende Kanzlerin Merkel Herrn Monti einen Blick zuwarf, den man eigentlich nur von der lieben Schwiegermama in besonders kritischen Situationen kennt.

Und jetzt? Freundlichkeit und Respektzollung und natürlich Küsschen hier und Küsschen da. Ich habe den Eindruck, dass in der Eurozone der sibirischen Super-Winter urplötzlich in einen warmen, italienischen Frühling übergegangen ist. Zwischen den Euro-Politikern passt kein Blatt mehr.

Ist die Euro-Krise also vorbei? Haben wir wieder Friedenszeiten? Für mich ist eine mindestens sehr ausgedehnte Feuerpause. Unsere Damen und Herren Euro-Politiker haben endlich begriffen, dass sie mit ihren auch noch öffentlich ausgetragenen Kleinkriegen um den richtigen Euro-Kurs den Vertrauensschaden, nein, das Elend der Eurozone maßgeblich selbst zu verantworten haben. Bereits jedes Vorstandsmitglied eines Karnickelzuchtvereins weiß doch um die Bedeutung friedensstiftender Psychologie. Worte zerstören, wo sie nicht hingehören. Euro-Bürger empfinden keine vertrauensvollen Gefühle für das Mega-Bauprojekt Euroland, wenn die verantwortlichen Architekten offenkundig schon mit der Errichtung der Bodenplatte ihre liebe Müh haben.

Die Wiederbelebung von Keynes, zumindest die erste Hälfte davon

Jetzt also Milde und Harmonie wie bei der besten Bohne von Tchibo. So bekommt Griechenland jetzt noch mehr Zeit und ich bin mir sicher, dass demnächst Spanien als Gegenleistung für die solidarische Finanzunterstützung der Euro-Bruderländer sich nicht mit allzu viel Reformdruck wird kasteien müssen. Sie säen nicht, sie ernten nicht und dennoch hat die Euro-Familie sie lieb. Übrigens Verschuldung abbauen? Ich bin überzeugt, dass über die politische Renaissance der keynesianischen Gesundbetung das Leitmotiv euroländischer Finanzpolitik wieder mehr und nicht weniger staatliche Konjunkturstützung sein wird. Die Argumente dafür sind doch bestechend einfach. Muss man nicht zuerst einmal die Wirtschaft wieder ans Laufen bekommen, damit sie über Steuereinnahmen auch der Finanzpolitik Luft verschafft? Wer will an dieser messerscharfen Logik zweifeln?

Es ist zu befürchten, dass dabei das Lehrbuch von Keynes aber erneut nur bis zur Hälfte gelesen wird. Beim zweiten Teil seiner Wirtschaftstheorie, in der er klar beschreibt, bei verbesserter Konjunktur über Steuererhöhungen bzw. Ausgabenkürzungen die Staatsschulden – und damit auch den Inflationsdruck – wieder zurückzuführen, schalten Politiker interessanterweise immer, immer, immer auf Durchzug. Tja, ein Besuch in der Kneipe „Zur fröhlichen Instabilität“ verkauft sich bei den Wählern immer besser als ein Aufenthalt in der Entziehungsanstalt „Stabilität tut weh“. Welcher Politiker spielt schon gerne die Spaßbremse?

Der Friedensnobelpreis für die EZB?

Aber grundsätzlich brauchen sich die Finanzminister vom eventuell rudimentär noch vorhandenen schlechten Finanzgewissen nicht länger quälen zu lassen. Denn nach dem kräftigen Zug aus der Verschuldungspulle nimmt die EZB der Fiskalpolitik den Kater doch gerne ab. So werden die Zinsen durch die Notenbank staatskapitalistisch gedrückt und für den Absatz der neuen Staatspapiere trägt sie auch noch Sorge. Marktwirtschaft an den Anleihenmärkten ist damit zwar zur aussterbenden Spezies geworden. Aber sehen wir doch über diesen kleinen Fehler hinweg. Würdigen wir doch bitte eher die EZB als den eigentlichen Friedensstifter der Eurozone. Sie meint es nur gut: Sie zwingt die Finanzmarktakteure durch ihre Geldpolitik doch nur zur Friedenspflicht. Wo sonst sieht man aktuell so viele Friedenstauben auf einmal wie an den Kapitalmärkten: Stabile Aktienkurse gehören ebenso zur neuen heilen Finanzwelt wie rapide sinkende Staatsanleiherenditen der bislang fußkranken Euro-Länder, die plötzlich wieder ohne zu humpeln laufen können.

Auch die Friedenstauben fliegen nicht umsonst

Was allerdings das ach so friedliche Bild stört, sind die weiter auf hohem Niveau notierenden Preise für Gold und Silber. Eigentlich hätten diese klassischen, sicheren Häfen nach der Friedensmission „Unbegrenzte Anleihenkäufe durch die EZB“ dramatisch und nachhaltig einbrechen müssen. Immerhin sind die Gefahren durch die Krise in Euroland zumindest vorerst gebannt. Aber der erzwungene Frieden in der Eurozone wird uns einen hohen Preis abverlangen: Inflation, ich meine die tatsächliche, nicht die offizielle.

Politik und Geldpolitik haben zwar dafür gesorgt, dass in Euroland jetzt über allen Wipfeln Ruh ist. Aber schauen wir bitte nicht unter die Baumkrone. Da hat sich der Borkenkäfer längst breit gemacht.

 

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator und ist durch regelmäßige Medienauftritte bei Fernseh- und Radiostationen, auf Fachveranstaltungen und Anlegermessen sowie durch Fachpublikationen präsent.


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Foto: Baader Bank

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